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BGHZ 81, 353

Title
BGHZ 81, 353
Table of Contents
Content
Gericht: BGH 9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 24.09.1981
Rechtskraft: ja
Aktenzeichen: IX ZR 93/80 Urteil
Dokumenttyp: Urteil
Quelle: juris
Normen: § 1600h Abs 1 BGB vom 19.08.1969, § 1600h Abs 6 BGB vom 19.08.1969, § 203 Abs 2 BGB, § 641i Abs 1 ZPO vom 19.08.1969, § 641i Abs 4 ZPO vom 19.08.1969
Zitiervorschlag: BGH, Urteil vom 24. September 1981 – IX ZR 93/80 –, BGHZ 81, 353-358

(Versäumung der Anfechtungsfrist des BGB § 1600h Abs 1: Verschulden des beratenden Rechtsanwalts keine höhere Gewalt - kein Fall des ZPO § 641i)

Leitsatz

1. Das Verschulden des vom Anfechtungsberechtigten nur mit seiner Beratung betrauten Rechtsanwalts ist keine höhere Gewalt im Sinne des BGB § 1600h Abs 6 (Fortführung BGH, 1955-05-04, VI ZR 37/54, BGHZ, 17, 199; Fortführung BGH, 1959-12-16, IV ZR 103/59, BGHZ 31, 342)

2. ZPO § 641i ermöglicht es nicht, von der Einhaltung der Anfechtungsfrist des BGB § 1600h Abs 1 abzusehen.

Orientierungssatz

1. Zu Leitsatz 1: Fortführung BGH, 1955-05-04, VI ZR 37/54, BGHZ 17, 199; Fortführung BGH, 1959-12-16, IV ZR 103/59, BGHZ 31, 342; Fortführung BGH, 1973-02-21, VIII ZR 212/71, NJW 1973, 698.

2. Zu Leitsatz 2: Vergleiche BGH, 1975-05-07, IV ZR 60/74, FamRZ 1975, 483; Vergleiche BGH, 1973-07-04, IV ZR 122/72, BGHZ 61, 186.


Fundstellen

BGHZ 81, 353-358 (Leitsatz 1-2 und Gründe) FamRZ 1982, 48-50 (red. Leitsatz und Gründe) NJW 1982, 96-97 (red. Leitsatz und Gründe) MDR 1982, 139-140 (red. Leitsatz und Gründe) FRES 11, 84-88 (red. Leitsatz und Gründe) Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 8. November 1979, 16 U 5/78 vorgehend AG Waiblingen, 14. Dezember 1977, III C 1591/76 Diese Entscheidung wird zitiert

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. November 1979 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 14. Dezem- ber 1977 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtsmittelzüge.

Tatbestand

1 Die Beklagte wurde am 26. August 1971 als nichteheliches Kind geboren. Der Kläger er- kannte in öffentlicher Urkunde vom 29. November 1971 die Vaterschaft an; am 30. März 1972 heiratete er die Mutter der Beklagten. Im Februar 1975 erhob der Kläger, vertre- ten durch Rechtsanwalt Dr. D. als Bevollmächtigten, Klage auf Scheidung. Die Ehe wur- de durch Urteil vom 17. März 1975 geschieden. Der Kläger focht die Anerkennung der Vaterschaft mit der am 15. November 1976 eingereichten, der Beklagten am 13. Januar 1977 zugestellten Klage an. Er behauptete, er sei von dem zwischenzeitlich verstorbe- nen Rechtsanwalt Dr. D. im Frühjahr 1975 unterrichtet worden, daß die Ehelichkeit eines Kindes vom Mann binnen zwei Jahren angefochten werden könne, und verkündete dessen Erbin den Streit. Sie trat der Beklagten bei. Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr auf die Berufung des Klägers statt. Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Nebenintervenientin ist im Revisionsrechtszuge nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

2  Das Berufungsgericht hält die Klage für begründet. Dazu führt es aus: Der Kläger habe die Anerkennung der Vaterschaft innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der gegen die Va- terschaft sprechenden Umstände anfechten können und diese Frist nicht versäumt. Sichere Kenntnis von solchen Umständen habe er frühestens einige Wochen vor dem 17. März 1975 erlangt, als ihm die Mutter der Beklagten mitgeteilt habe, das Kind stamme nicht von ihm, sondern von einem Mann aus F..

3  Die damit beginnende Jahresfrist für die Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft sei bei Erhebung der Klage noch nicht abgelaufen gewesen. Auf sie finde der für die Verjährung geltende § 203 Abs. 2 BGB Anwendung. Die Frist sei durch höhere Gewalt gehemmt gewesen. Rechtsanwalt Dr. D. habe den Kläger am 9. April 1975 unterrichtet, er habe zur Anfechtung zwei Jahre Zeit. Ihm seien auf Grund des Scheidungsmandats die familiären Verhältnisse des Klägers bekannt gewesen, und er habe ihn demnach schuld- haft über die Anfechtungsfrist unrichtig belehrt. Dieses Verschulden brauche der Kläger sich nicht zurechnen zu lassen, weil Rechtsanwalt Dr. D. ihn hinsichtlich der Frage der Anfechtung nicht als Bevollmächtigter vertreten, sondern lediglich beraten habe. Weil der Kläger auf die Richtigkeit der Auskunft habe vertrauen dürfen, sei der Lauf der Anfechtungsfrist seit dem 9. April 1975 durch höhere Gewalt gehemmt gewesen. Die Klage sei begründet, weil der Kläger nach dem Ergebnis des serologischen Gutachtens als Vater der Beklagten ausgeschlossen sei.

4  Dagegen wendet sich die Revision mit Recht. Ihre gegen das Verfahren erhobenen Rü- gen bedürfen keiner Prüfung; die Sachrüge greift durch.

5  1. Die Beklagte ist als nichteheliches Kind geboren. Die Vaterschaft des Klägers wurde dadurch, daß er sie rechtswirksam anerkannte, mit Wirkung für und gegen alle festgestellt (§ 1600 a Satz 1 BGB). Deshalb wurde die Beklagte, als der Kläger sich mit ihrer Mutter verheiratete, ehelich (§ 1719 Satz 1 BGB). Diese auf der Anerkennung der Vaterschaft beruhende Rechtswirkung konnte der Kläger nicht durch Anfechtung der Ehelichkeit nach § 1594 Abs. 1 BGB, der die Anfechtung der Ehelichkeit eines ehelich geborenen Kindes regelt, sondern nur dadurch beseitigen, daß er die Anerkennung anfocht (§ 1600 f Abs. 1 BGB; vgl. Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl., § 61 I 4). Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Dauer der An- fechtungsfristen nicht gleichgelagerte Fälle ungleich behandelt. Im Falle des § 1594 BGB hat das Kind, dessen Ehelichkeit angefochten wird, seine Rechtsstellung allein dadurch erlangt, daß es während der Ehe oder innerhalb von dreihundertundzwei Tagen nach ihrer Auflösung oder Nichtigerklärung geboren wurde (§§ 1591, 1592 BGB). Dagegen hat der Mann, der die Anerkennung der Vaterschaft eines nichtehelich geborenen Kindes anficht, das durch seine Eheschließung mit dessen Mutter ehelich geworden ist, die Rechtsstellung des Kindes als eheliches durch seine Rechtshandlungen herbeigeführt. Weil er Gelegenheit hatte, die Frage der Abstammung des Kindes zu prüfen, bevor er sich zur Anerkennung der Vaterschaft entschloß, ist es angemessen, die Frist zur Anfechtung für ihn kürzer zu bestimmen als für den Mann, der vor der Frage steht, ob er die Ehelichkeit eines als eheliches geborenen Kindes anfechten soll. Die gesetzliche Regelung verstößt deshalb nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG; sie ist nicht verfassungswidrig.

6  2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die frühestens zwei bis drei Wochen vor dem 17. März 1975 begonnene Jahresfrist zur Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft sei bei Erhebung der Klage am 13. Januar 1977 noch nicht abgelaufen gewesen, hält der rechtlichen Nachprüfung dagegen nicht stand.

7  a) Nach § 1600 h Abs. 6 BGB sind auf den Lauf der Frist zur Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 203, 206 BGB ent- sprechend anzuwenden. Mithin wäre der Lauf der Frist gehemmt gewesen, wenn und so- lange der Kläger durch höhere Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Anfech- tungsfrist an der Rechtsverfolgung verhindert gewesen wäre (§ 203 Abs. 2 BGB). Der Be- griff der höheren Gewalt entspricht im wesentlichen dem des unabwendbaren Zufalls in § 233 Abs. 2 ZPO a.F. Aus der Änderung des § 233 ZPO kann kein Rückschluß auf die Auslegung des § 203 Abs. 2 BGB gezogen werden (Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 203 Rdz. 6). Höhere Gewalt liegt nur vor, wenn die Verhinderung auf Ereignissen be- ruht, die auch durch die äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden konnten. Schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BGH NJW 1973, 698).

8  b) Das Berufungsgericht meint, daß Rechtsanwalt Dr. D. den Kläger über die Dauer der Anfechtungsfrist schuldhaft unzutreffend unterrichtet habe. Das ist richtig. Rechtsanwalt Dr. D. wußte am 9. April 1975, daß der Kläger die Vaterschaft der als nichteheliches Kind geborenen Beklagten anerkannt hatte, sie also durch dessen Eheschließung mit ihrer Mutter ehelich geworden war. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er deshalb wissen können und müssen, daß der Kläger nicht nach § 1594 Abs. 1 BGB die Ehelichkeit der Beklagten binnen zwei Jahren, sondern nach § 1600 h Abs. 1 BGB die Anerkennung der Vaterschaft binnen Jahresfrist anfechten mußte.

9  c) Mit Recht rügt jedoch die Revision die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger sei an der Einhaltung der Anfechtungsfrist durch höhere Gewalt verhindert gewesen, weil er auf die Richtigkeit der unzutreffenden Beratung durch Rechtsanwalt Dr. D. hätte vertrauen können. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in BGHZ 17, 199, 206 näher dargelegt, daß es der Berechtigte im allgemeinen gegen sich gelten lassen muß, wenn die Verjährungsfrist durch das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten versäumt wird, weil er dieses in seinem Bereich liegende Risiko zu tragen hat. Dem sind der VIII. Zivilsenat in NJW 1973, 698 und für den Lauf der Frist zur Anfechtung der Ehe- lichkeit eines Kindes der IV. Zivilsenat in BGHZ 31, 342, 347 gefolgt. Danach ist das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Anfechtungsklägers keine höhere Gewalt im Sinne des § 1594 Abs. 3 BGB. Dem schließt sich der erkennende Senat für den Lauf der Anfechtungsfrist nach § 1600 h Abs. 6 BGB an. Das für die Nichteinhaltung der Frist ursächliche Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß der Anfechtungskläger sich zurechnen lassen, weil es in seinem Bereich liegt (BGH aaO). Deshalb kann es keinen Unterschied machen, ob er an der fristgerechten Geltendmachung des Anfechtungsrechts durch ein Verschulden des von ihm dazu bevollmächtigten Rechtsanwalts verhindert wird oder, weil er sich darauf verläßt, daß der von ihm lediglich mit seiner Beratung betraute Rechtsanwalt ihm eine zutreffende Auskunft über die Länge der Anfechtungsfrist erteilt hat. Beide Funktionen des von der Partei in Anspruch genommenen Rechtsanwalts, die Beratung und die Vertretung, sind insoweit gleichwertig. In beiden Fällen liegt die Ursache für die Fristversäumung in der Person des Rechtsanwalts und damit im Risikobereich seines Auftraggebers. Weil auch die schuldhaft unzutreffende Auskunft eines nur mit der Beratung betrauten Rechtsanwalts im Falle des § 203 Abs. 2 BGB dem Berechtigten zuzurechnen ist, stellt sie für ihn keine höhere Gewalt dar. Die Jahresfrist zur Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft, die einige Wochen vor dem 17. März 1975 begonnen hatte, war mithin im März 1976, also erhebliche Zeit vor Einreichung der Anfechtungsklage am 15. November 1976 abgelaufen.

10  3. Entgegen der Auffassung des Klägers ermöglicht es § 641 i ZPO nicht, von der Einhaltung der Anfechtungsfrist abzusehen. Diese Vorschrift regelt die Zulässigkeit von Restitutionsklagen in den in § 641 ZPO aufgezählten Verfahren auf Feststellung des Beste- hens oder Nichtbestehens der nichtehelichen Vaterschaft sowie der Vaterschaft zu einem durch nachfolgende Ehe legitimierten oder zu einem für ehelich erklärten Kinde. Sie setzt eine rechtskräftige Entscheidung über die Abstammung eines nichtehelich geborenen (vgl. BGH FamRZ 1975, 483 = NJW 1975, 1465) oder die erfolgreiche Anfechtung der Ehelichkeit eines dadurch nichtehelich gewordenen (BGHZ 61, 186) Kindes voraus. In diesen Fällen hängt die vom Restitutionskläger begehrte neue Entscheidung nicht von der Einhaltung einer Anfechtungsfrist ab; es überwiegt das Bestreben des Gesetzes, die größtmögliche Übereinstimmung der gerichtlichen Entscheidungen mit den wahren Abstammungsverhältnissen herbeizuführen. Soweit es sich um die Anfechtung der Ehelichkeit oder der Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1594, 1595 a Abs. 1, 1596 Abs. 2, 1598 Abs. 1, 1600 h, 1600 i BGB) handelt, hat das Gesetz sie im Interesse der Wahrung des Rechts- und Familienfriedens von der Einhaltung von Fristen abhängig gemacht. Die Fristenregelungen sind durch § 641 i ZPO nicht auszuschließen. Wenn der anfechtungsberechtigte Teil trotz Kenntnis des Anfechtungsgrundes die zur Geltendmachung des Rechts bestimmte Frist hat verstreichen lassen, wird ihm unterstellt, daß er es bei dem bestehenden Rechtszustand belassen will. Sein eigenes Verhalten rechtfertigt es dann, dem Rechts- und Familienfrieden den Vorrang einzuräumen, selbst wenn dies auf Kosten der Klärung des wahren Abstammungsverhältnisses geht (vgl. BGHZ 61, 186, 191). So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat die ihm durch § 1600 h BGB eröffnete Anfechtungsmöglichkeit nicht wahrgenommen. Er ist deshalb von Gesetzes wegen so zu behandeln, als wolle er es bei dem durch seine Anerkennung der Vaterschaft begründeten Rechtszustand belassen.

11  Deshalb wird das angefochtene Urteil aufgehoben und das des ersten Rechtszuges wiederhergestellt.
Referring Principles
A project of CENTRAL, University of Cologne.