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Marxen, Karl, Abstrakte Garantie und Dokumentenakkreditiv in Südafrika - Die neue Rechtsprechung zum Autonomieprinzip und seinen möglichen Einschränkungen, IHR 2015, pp. 137ff.

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Marxen, Karl, Abstrakte Garantie und Dokumentenakkreditiv in Südafrika - Die neue Rechtsprechung zum Autonomieprinzip und seinen möglichen Einschränkungen, IHR 2015, pp. 137ff.
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3. Rechtlicher Rahmen und grundlegende Prinzipien

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b) Dokumentenstrenge und Abstraktheit

Die beiden grundlegenden Rechtsprinzipien der Garantien und Akkreditive sind die Dokumentenstrenge und das Prinzip der Abstraktheit. Letzteres Prinzip bildet den Schwerpunkt dieses Aufsatzes. Dokumentenstrenge, im internationalen Kontext als „strict compliance“ bekannt, bedeutet, dass alle Dokumente, die den Begünstigten zur Auszahlung berechtigen sollen, exakt den Vorgaben der Garantie oder des Akkreditivs entsprechen müssen.22 Selbst geringfügige Abweichungen erlauben dem Garanten, die Zahlung zu verweigern.23
Das Abstraktheitsprinzip (auch Autonomie- oder Unabhängigkeitsprinzip genannt) dagegen beinhaltet, dass das vom Garantiegeber ausgestellte Zahlungsversprechen von der zugrunde liegenden Vertragsbeziehung zwischen Begünstigtem (z.B. Bauunternehmer oder Verkäufer) und Antragsteller (z.B. Bauträger oder Käufer) unabhängig ist.24 Einwendungen, die aus diesem Grundverhältnis stammen, sind in der Regel für das Garantieverhältnis gänzlich unbeachtlich.25 Beklagt sich beispielsweise ein Bauherr über mangelhafte Bauausführung oder der Käufer über minderwertige Ware, so sind diese Einwendungen für die Zahlungsverplichtung des Garanten irrelevant. Daraus ergibt sich auch die Attraktivität dieser Zahlungs- und Sicherungsinstrumente, denn sie versprechen die kurzfristige und nahezu unabwendbare Durchsetzung der versprochenen Geldsumme.26
Ein Zusammenspiel dieser beiden grundlegenden Prinzipien ist darin zu sehen, dass gerade durch den dokumentären Charakter27 die Abstraktheit des Zahlungsversprechens gewahrt wird: Sofern konforme Dokumente vorgelegt werden, ist Zahlung zu leisten, und zwar grundsätzlich unabhängig von der tatsächlichen Rechts- und Sachlage.


4. Ausnahmen zum Autonomieprinzip – internationale Rechtsprechung

Das Autonomie- oder Abstraktheitsprinzip ist ein Grundpfeiler der beiden behandelten Instrumente. Es werden jedoch auch Ausnah-


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men bezüglich der Abstraktheit anerkannt, so dass in speziellen Fällen Einwendungen aus dem zu sichernden Grundgeschäft durchaus die Zahlungsverpflichtung des Garanten bzw. Akkreditivverpflichteten beeinträchtigen können. Hierzu gehört zum Beispiel der Einwand von „fraud“ durch den Begünstigten (dazu sogleich). Dies fungiert als eine der international anerkannten Ausnahmen des Autonomieprinzips.28 Ein grundlegender Fall in dieser Hinsicht ist die Sztejn-Entscheidung29 aus den frühen 1940er Jahren in den USA, welche im englischen Recht und damit im Laufe der Zeit nahezu weltweit im Common Law und darüberhinaus Beachtung fand.30 In Deutschland wird eine Durchbrechung der Unabhängigkeit der Garantie oder des Dokumentenakkreditives durch Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben angenommen.31 In eng begrenzten Fällen von sittenwidriger Garantieabrufung kann daher die Zahlung verweigert werden, wobei jedoch „strengste Maßstäbe“32 gelten. Bei Dokumentenakkreditiv und unabhängiger Garantie gilt der Grundsatz „erst zahlen – dann prozessieren“;33 der Garant ist also zunächst angehalten, Zahlung zu leisten, während die Beteiligten mögliche Einwendungen aus dem Grundgeschäft erst in einem späteren Rückforderungsprozess erheben können.34 Praktisch führt dies zu einer Umkehrung bzw. Verschiebung der Prozesssituation.35
Eine Ausnahme wird lediglich zugelassen, wenn sich die Forderung des Berechtigten aus dem abstrakten Zahlungsversprechen als „unzulässige Rechtsausübung“36 darstellt. Dies wird in Fällen bejaht, in denen die formale Rechtsstellung ausgenutzt wird und sich dieser Missbrauch „liquide beweisbar“ oder „offensichtlich“ zeigt.37 Der Einwand des Rechtsmissbrauchs stellt folglich die einzige effektive Verteidigunsmöglichkeit des Garanten oder des Akkreditivverpflichteten dar.38

22Carr, International trade law (4. Aufl. 2010) 479; Mugasha, The law of letters of credit and bank guarantees (2003) 23; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten (8. Aufl. 2012) Rn. 1563; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (3. Aufl. 2004) Rn. 7.136; Canaris, Bankvertragsrecht Teil 1 (4. Aufl. 1988) Rn. 1107, 1109 und 1132; Ellinger/Neo, The law and practice of documentary letters of credit (2010) 227 ff.
23Vergleich allerdings die Ausführungen zu offensichtlichen Schreib- und Tippfehlern in Ellinger/Neo, The law and practice of documentary letters of credit (2010) 228‐229.
24Siehe MünchKommBGB/Habersack, Band 5 (6. Aufl. 2013) Vor § 765 Rn. 18 und 20; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten (8. Aufl. 2012) Rn. 1552; Canaris, Bankvertragsrecht Teil 1 (4. Aufl. 1988) Rn. 1004 und 1134; King O’Neal, The Construction Lawyer 1993 (13) 3, 4.
25BGHZ 101, 84, 91 ff.; Staudingers KommentarBGB/Marburger, Buch 2 (2009) Vorbem. zu § 780 Rn. 17; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten (8. Aufl. 2012) Rn. 1552, 1561; MünchKommBGB/Habersack, Band 5 (6. Aufl. 2013) Vor § 765 Rn. 20, 33; Bamberger/Roth, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch/Gehrlein, Band 2 (3. Aufl. 2012) § 783 Rn. 21; Carr, International trade law (4. Aufl. 2010) 474; Dalhuisen, Dalhuisen on transnational and comparative commercial, financial and trade law Volume 3 (4. Aufl. 2010) 386; Ellinger /Neo, The law and practice of documentary letters of credit (2010) 316; Cranston, Principles of banking law (2. Aufl. 2002) 391; Horn, NJW 1980, 2153, 2156.
26Norton Rose, Cross-border security (2000) 149‐150; King O’Neal, The Construction Lawyer 1993 (13), 3, 4.
27Siehe Ellinger /Neo, The law and practice of documentary letters of credit (2010) 300 („documentary character“); ähnlich auch Mugasha, The law of letters of credit and bank guarantees (2003) 23 („documentary nature“).
28Antoniou, Journal of International Banking Law and Regulation 2013, 339, 341; Kurkela, Letters of credit and bank guarantees under international law (2. Aufl. 2008) 173.
29Sztejn v J Henry Schroder Banking Corporation (1941) 31 N.Y.S. 2d 631.
30Malek/Quest, Jack: Documentary Credits (4. Aufl. 2009) Rn. 9.7. Lord Diplock bezeichnete den Sztejn-Fall als „landmark“ case, vgl. United City Merchants v Royal Bank of Canada [1983] AC 168 (HL), hier 183 G.
31BGHZ 90, 287, 291f; BGHZ 140, 49, 51 ff.; BGHZ 145, 286, 290 ff.; Lwowski/Fischer /Langenbucher, Das Recht der Kreditsicherung (9. Aufl. 2011) 344 Rn. 219; Horn, NJW 1980, 2153, 2156; Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht (2008) 203‐204, auch wenn sich die Ausführungen primär auf die Bürgschaft auf erstes Anfordern beziehen, vgl. Lwowski/Fischer /Langenbucher, Das Recht der Kreditsicherung (9. Aufl. 2011) 345 Rn. 221.
32Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht (3. Aufl 2004) Rn. 7.187; ähnlich auch Lwowski /Fischer /Langenbucher, Das Recht der Kreditsicherung (9. Aufl. 2011) 345 Rn. 221 sowie Zahn/Ehrlich /Haas, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel (8. Aufl. 2010) Rn. 2/395.
33BGHZ 101, 84, 91. Inhaltlich ähnlich auch Kurkela, Letters of credit and bank guarantees under international law (2. Aufl. 2008) 22 sowie Bertrams, Bank guarantees in international trade (4. Aufl. 2013) 13.
34Weber, Kreditsicherungsrecht (9. Aufl. 2012) 106; Lwowski /Fischer /Langenbucher, Das Recht der Kreditsicherung, (9. Aufl. 2011) 344 Rn. 219. Siehe dazu aber die einschränkenden Vorgaben des BGH in BGHZ 140, 49, 51 ff. in Bezug auf den Rückforderungsanspruch des Garanten.
35Canaris, Bankvertragsrecht Teil 1 (4. Aufl.1988) Rn. 1016; Kümpel, Bank und Kapitalmarktrecht (3. Aufl. 2004) Rn. 7.190, Bertrams, Bank guarantees in international trade (4. Aufl. 2013) 14; Freitag in: Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht (2. Aufl. 2009) 1874 Rn. 67; Heinze, Der einstweilige Rechtsschutz im Zahlungsverkehr der Banken (1984) 141.
36BGHZ 101, 84, 91.
37Ständige Rechtssprechung, vgl. BGHZ 90, 287, 292; BGHZ 145, 286, 291; OLG Frankfurt WM 1997, 1893, 1895 und jüngst beispielsweise OLG Düsseldorf Urteil vom 4.10.2012 (6 U 268/11) Rn. 52 (zitiert nach juris).
38Bülow, Recht der Kreditsicherheiten (8. Aufl. 2012) Rn. 1574.

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