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Schütze, Rolf A., Vorpeil, Klaus, Das Dokumentenakkreditiv im internationalen Handelsverkehr, 7th edition 2016

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Schütze, Rolf A., Vorpeil, Klaus, Das Dokumentenakkreditiv im internationalen Handelsverkehr, 7th edition 2016
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4. Unabhängigkeit von den Grundbeziehungen


68 Die Definition des Dokumentenakkreditivs wird schließlich durch die Normen über den abstrakten Charakter der Akkreditivverpflichtung vervollständigt, der in der Unabhängigkeit dieser Verpflichtung von den ihr zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen zum Ausdruck kommt. Ein Akkreditiv stellt so, wie Art. 4 lit. a ERA in eindeutiger Weise betont, „seiner Natur nach ein von dem Kauf- oder anderen Vertrag, auf dem es möglicherweise beruht, getrenntes Geschäft“ dar, „und Banken haben in keiner Hinsicht etwas mit einem solchen Vertrag zu tun und sind durch ihn auch nicht gebunden“. Art. 4 lit. a ERA, der sich zunächst im Wesentlichen auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Akkreditivauftraggeber und dem Begünstigten bezieht, wird ergänzt durch die Feststellung: „Folglich ist die Verpflichtung einer Bank zu honorieren, negoziieren oder irgendeine andere Verpflichtung unter dem Akkreditiv zu erfüllen, nicht abhängig von Ansprüchen oder Einreden des Auftraggebers, die sich aus seinen Beziehungen zur eröffnenden Bank oder zum Begünstigten ergeben.“


[...]


III. Dokumentenprüfung


1. Grundprinzipien für die Dokumentenaufnahme


507Das Akkreditivgeschäft wird beherrscht von dem Grundsatz der Dokumentenstrenge,28 der in seinem Formalismus dem Wechsel- und Scheckrecht ähnelt. Seinen Ausdruck findet dieses Prinzip in Art. 5 ERA, der für das Akkreditivgeschäft klarstellt, „Banken befassen sich mit Dokumenten und nicht mit Waren, Dienstleistungen oder Leistungen, auf die sich die Dokumente möglicherweise29 beziehen“. Grundlage für das Prinzip der Dokumentenstrenge ist der übereinstimmende, konkludent manifestierte Parteiwillen aller am Akkreditivgeschäft Beteiligten, dass Zahlung nur gegen akkreditivkonforme Dokumente geleistet wird.30

508 Wenn die Dokumente das Waren- bzw. Dienstleistungsgeschäft und seine Erfüllung durch den Begünstigten in gewisser Hinsicht widerspiegeln und die Sicherungsfunktion des Akkreditivs aus der Sicht des Käufers oder der sonstigen Vertragsparteien hauptsächlich auch in der auf dem Weg über die Dokumentenprüfung erfolgenden Kontrolle der ordnungsmäßigen Ausführung des Grundgeschäfts als solcher verankert ist, so sind die am Akkreditivgeschäft beteiligten Banken weder in der Lage noch bereit, die Dokumentenprüfung unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden Geschäfts vorzunehmen.31 In Grenzfällen kann hierzu zwar ausnahmsweise Veranlassung bestehen. Außerhalb dieser Fälle wäre es aber eine Verletzung der Verpflichtungen der Bank aus dem Dokumentenakkreditiv gegenüber dem Begünstigten, Tatsachen in Bezug auf den Kaufvertrag, die sich nicht aus der äußeren Aufmachung der Dokumente ergeben, zu berücksichtigen. Daher rührt auch die Strenge, mit der die dokumentäre Prüfung stattzufinden hat: Die strikte Observanz der in den Akkreditivbedingungen ausgedrückten Weisungen stellt den obersten Grundsatz der Dokumentenprüfung32 beim Akkreditivgeschäft — für und gegen den Begünstigten — dar.33 An die Prüfung ist ein geradezu „pedantischer‘‘ Maßstab anzulegen.34

28Vgl. dazu Koller, Die Dokumentenstrenge im Licht von Treu und Glauben beim Dokumentenakkreditiv, WM 1990, 293 ff.; Gao, The Fraud Rule in the Law of Letters of Credit, 2002, S. 26, bezeichnet den Grundsatz der Dokumentenstrenge als eines der Grundprinzipien des Akkreditivgeschäfts. Die ICC-Bankenkommission hat hierzu am 24.5.2016 ein Papier mit dem Titel „Notes on the Principle of Strict Compliance“ veröffentlicht.
29Vgl. Privy Council, Westpac Banking Corporation v South Carolina National Bank, [1986] I Lloyd’s Rep. 311 (315): „[i]t forms no part of the bank’s function, when considering whether to pay against documents presented to it, to speculate about the underlying facts“.
30Vgl. Hartmann, Die Durchsetzbarkeit des Begünstigtenanspruchs im unwiderruflichen Dokumentenakkreditiv, Diss. Tübingen 1990, S. 90f.
31Vgl. BGH, WM 1958, 291 (292); BGH, WM 1971, 158 (159£.).
32Vgl. dazu Vorpeil, Die Dokumentenprüfung in der internationalen Akkreditivpraxis, IWB Fach 10 International, Gruppe 8, S. 295 ff.
33Da die Zweitbank häufig Hausbank des Begünstigten ist, liegt der Gedanke nahe, sie habe dessen Interessen bis zu einem gewissen Grade wahrzunehmen. Das wäre aber eine Verkennung der Stellung der Akkreditivbank und könnte zu Interessenkollisionen führen; vgl. Schinnerer/Avancini, Bankverträge, III. Teil, 3. Aufl. 1976, S. 107; a.A. früher von Petersdorff-Campen, Akkreditivanspruch und Bankvertrag, DB 1958, 947f.; vgl. hierzu auch Ottersbach, Akkreditivanspruch und Bankvertrag, DB 1958, 1384f.
34Vgl. BGH, WM 1971, 159, OLG München, WM 1996, 2335; Canaris, Rdn. 993; Koller, Die Dokumentenstrenge im Licht von Treu und Glauben beim Dokumentenakkreditiv, WM 1990, 293 ff., im gleichen Sinne auch Stapel, S. 147 ff. mit akribischen Nachweisen auch aus der englischen und US-amerikanischen Rechtsprechung.

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