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Richter, Marc Robert, Standby Letter of Credit - Eine systematische Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des US-amerikanischen Rechts, Zurich 1989

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Richter, Marc Robert, Standby Letter of Credit - Eine systematische Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des US-amerikanischen Rechts, Zurich 1989
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§ 8. Rechtsnatur des Standby L/C


I. GRUNDSATZ DER ABSTRAKTHEIT DER STANDBY L/C-VERPFLICHTUNG


A. Grundsatz

1. Allgemeines

Die "règle d'or" und wesentlichstes Strukturmerkmal des Standby L/C stellt seine Abstraktheit dar326. Dieser Grundsatz bedeutet, dass — wie beim Dokumenten-Akkreditiv327 oder bei der unbedingten Bankgarantie328— mit der Stellung eines Standby L/C der Zahlungsanspruch des Begünstigten unabhängig von zugrunde liegenden Verträgen besteht329. Allein die Einreichung der vereinbarten Dokumente soll die Leistungspflicht der Bank auslesen330. In dieser Unabhangigkeit beruht die 

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"Vitalität" dieser Sicherungsgeschäfte331, und es ist diese Eigenschaft, welche den Standby L/C für den Begünstigten und die involvierten Banken im Vergleich zu akzessorischen Sicherungen (z.B. der Bürgschaft) so attraktiv macht332.

Die Abstraktheit des Standby L/C-Vertrages bezieht sich in erster Linie auf seine Unabhängigkeit vom Valutaverhältnis (Grundvertrag) zwischen Standby L/C-Auftraggeber und dem Begünstigten. So heisst es in Art.3 ERA: "Akkreditive sind ihrer Natur nach von den Kauf- oder anderen Verträgen, auf denen sie beruhen können333, getrennte Geschäfte, und die Banken haben in keiner Hinsicht etwas mit solchen Verträgen zu tun und sind nicht durch sie gebunden... "334. Die Bank ist folglich grundsätzlich auch dann zur Zahlung verpflichtet, wenn der Auftraggeber wegen Mängeln im Grundverhältnis vom Begünstigten die Nichtinanspruchnahme des Standby L/C verlangen kann.

Die Standby L/C-Verpflichtung ist aber auch vom Deckungsverhältnis (Standby L/C-Eröffnungsauftrag) zwischen dem Standby L/C-Auftraggeber und der eröffnenden Bank sowie vom Vertrag zwischen der Erst- und Zweitbank unabhängig: "Ein Begünstigter kann sich in keinem Fall auf die vertraglichen Beziehungen berufen, die zwischen den Banken oder zwischen dem Akkreditivauftraggeber und der eröffnenden Bank bestehen"(Art.6 ERA).

Die Trennung von Zahlung aus dem Standby L/C und den ihm zugrundeliegenden Verträgen, insbesondere von der Abwicklung des Grundvertrages, ist das Ergebnis einer kaufmännischen Risikoverteilung, welche die Stärke der jeweiligen Marktstellung der Parteien von Aussenhandelsgeschaften widerspiegelt. Die Wahl des Sicherungsinstruments ist nämlich ebenso das Ergebnis von Vertragsverhandlungen wie die Vereinbarung der Zahlungsbedingungen335.

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2. Beschränkung auf Dokumentenprüfung

Artikel 4 der ERA konkretisiert die Selbständigkeit vom Grundgeschäft: "Im Akkreditivgeschäft befassen sich alle Beteiligten mit Dokumenten und nicht mit Waren, Dienstleistungen und/oder anderen Leistungen, auf die sich die Dokumente beziehen können336. Das beim Standby L/C abgegebene Leistungsversprechen ist also nur an die im Standby L/C- Vertrag enthaltenen Bedingungen geknüpft; diese beschränken sich auf die Vorlage von Dokumenten.

Die Einschränkung der Prüfungspflicht erfolgt unter anderem aus praktischen Gründen337. Die Bank vermittelt lediglich die Zahlung zwischen den beiden Grundvertragsparteien und will keinen Einblick in das Grundverhältnis haben. Es fehlen ihr haufig die erforderlichen Sach- und Branchenkenntnisse, um die ausserhalb der Dokumente liegenden Fragen angemessen beurteilen zu können338. Schliesslich würden sich die Banken gezwungen sehen, entweder die Kommission zu erhöhen, um die zusätzlich verursachten Kosten zu decken, oder sich von dieser Art Sicherungsgeschäften zurückzuziehen.

3. Einrede- und Einwendungsausschluss339

Eine notwendige Folge der abstrakten Ausgestaltung des Sicherungsversprechens ist, dass grundsätzlich keine Einreden und Einwendungen aus den dem Standby L/C-Vertrag zugrunde liegenden Verträgen geltend gemacht werden können (sog. materielle Abstraktheit340). Dieser Einrede- und Einwendungsausschluss folgt aus dem Sinn und Zweck des Standby L/C, ein einfaches und schnelles Sicherungsmittel zu sein, und liegt sowohl im Interesse des Begünstigten, der seinen Anspruch

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nicht gefährdet sehen möchte, als auch der Bank, die nicht in Fragen betreffend dem Grundvertrag gezogen werden will und ihren Zahlungsentscheid nicht durch die Verknüpfung mit dem Grundvertrag erheblich erschwert sehen möchte.

4. Umkehr der Beweislast

Die schnelle Befriedigung eines eventuellen Zahlungsanspruches erfordert auch, dass allfällige Gerichtsverfahren erst nach der Auszahlung ausgefochten werden. Dies wird vereinfacht mit den Worten "erst zahlen, dann prozessieren" ausgedrückt341.

Der Auftraggeber hat einen allfälligen Prozess zu initiieren. Die abstrakte Gestaltung des Standby L/C kommt diesem Bedürfnis entgegen und bedeutet stets eine Umkehr der Beweislast, d.h. nicht derjenige, der aus der behaupteten Tatsache ein Recht ableitet, nämlich der Begünstigte, hat den Eintritt des Verpflichtungsgrundes zu beweisen (vgl. Art.8 ZGB), sondern der Schuldner den Nichteintritt der behaupteten Grundvertragsverletzung (sog. Beweisabstraktheit)342.

5. Keine Subrogation343

Eine weitere Konsequenz der Unabhängigkeit vom Grundvertrag ist, dass die Rechte eines Begünstigten (Hauptschuldners), der von der Bank — durch den Erhalt der Standby L/C-Summe — befriedigt wurde, nicht automatisch auf die Bank übergehen344, sondem einer schriftlichen Abtretung gemäss Art.165 OR bedürfen.

Ein solcher Eintritt in die Rechtsstellung des Gläubigers (Begünstigten) ist im akzessorisch ausgestalteten Bürgschaftsrecht von Gesetzes wegen (Legalzession) vorgesehen (Art.507 OR).

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B. Durchbrechungen des Grundsatzes

1. Allgemeines

Der Standby L/C ist nicht vollständig vom Grundverhältnis losgelöst. Schliesslich liegt sein Zweck in der Sicherung der ordnungsgemässen Erfüillung desselben345. Auch ist der sogenannte Verpflichtungs- oder Rechtsgrund (causa)346 des Standby L/C in diesem Sicherungszweck zu sehen347. Dementsprechend muss sich der Begünstigte bereits in seiner Inanspruchnahmeerklärung auf das Grundgeschäft beziehen und zumindest behaupten, dass der Hauptschuldner seinen Verpflichtungen aus dem Grundvertrag nicht nachgekommen ist.

Zum Teil wird vereinbart, dass der Begünstigte Dokumente von Dritten beibringen muss (z.B. ein Gutachten oder ein Schiedsgerichtsurteil), welche gewisse Aspekte des Grundvertrages zu prüfen haben. Obwohl diese tatsächliche Beziehung die rechtliche Unabhängigkeit des Standby L/C vom Grundvertrag nicht in Frage stellt348, kann die Abgrenzung zu akzessorischen Verpflichtungen schwierig werden349.

Der nächste Abschnitt ist im Lichte dieser Ausführungen und mit Berücksichtigung rechtsethischer Prinzipien zu verstehen.

2. Zulassige Einreden und Einwendungen

Der Grundsatz der Abstraktheit des Standby L/C findet dort seine Grenze, wo die Behauptungen der Inanspruchnahmeerklärung offensichtlich falsch und diese somit rechtsmissbräuchlich ist. In solchen Fällen muss die Bank die Zahlung trotz dem Abruf verweigern. Der Grundsatz der Abstraktheit schliesst demnach Einreden und Einwendungen aus dem Sicherungszweck, d.h. dem Grundvertrag, nicht immer aus; die Abstraktheit der Zahlungspflicht gilt nicht absolut. Die

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Grenzziehung zwischen Zahlungspflicht und Zahlungsverweigerungspflicht der Bank ist jedoch äusserst komplex350.

3. Auslegung und Ergänzung des Standby L/C

Die Unabhängigkeit der Standby L/C-Verpflichtung wird wie gesehen351 auch in einem weiteren Fall durchbrochen. Sollten sich im Verständnis des Standby L/C-Vertrages Unklarheiten ergeben, so kann der Grundvertrag zur Auslegung und Ergänzung herangezogen werden, könnte doch aus diesem der ursprüngliche wirkliche Parteiwille erkennbar sein.
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326Sion, S. 9. Für die USA ist die sog. independence rule in U.C.C. § 5-114(1) ausdrücklich statuiert. Vgl. auch STERN, Michael, The Independence Rule in Standby Letters of Credit, in: University of Chicago Law Review, 52 (1985), S. 218 ff.; NIELSEN, Bradly J., The necessity of the strict application of the independence principle to letters of credit, in: Creighton Law Review, 20 (1986), S.597 ff.
327Anstelle vieler BGE 100 II 150 E. 4a); 108 III 99 E. 4.; Guggenheim, S. 173; Eisemann/Eberth, S. 58 f.; Schärrer, S. 27 ff.
328Anstelle vieler BGE 113 If 434; Kleiner, S. 149 ff.; Dohm Rdnr. 98 ff.; Guggenheim, S. 155.
329Er wird deshalb auch Grundsatz der Selbstständigkeit, der Unabhängigkeit oder der Unbedingtheit genannt. In Englisch werden die Adjektive abstract, unconditional, independent, automatic, primary und autonomous verwendet, UNCITRAL-Report, S. 9 Nr. 36.
330Deutlich wurde dies in einem amerikanischen Gerichtsentscheid ausgedrückt:"an instrument is a letter of credit if the issuer has a primary obligation that is dependent solely upon the presentation of conforming documents and not upon the factual determination of performance or non-performance by the parties to the underlying transaction." Republic National Bank v. Northwest National Bank, 578 S.W.2d 109. Ebenso Regulation 12 C.F.R. § 7.7016 (1988): "In order to constitute a true letter-of-credit transaction, the following elements must all be present: ... (d) the bank's obligation to pay must arise only upon the presentation of specific documents ... "
331Eberth-Standby, S. 29 Fn. 2.
332Kronauer, S. 124.
333Hier sind nur die anderen möglichen Grundverträge gemeint, ERA-Revisionen, S. 13.
334Ebenso im amerikanischen Recht U.C.C. § 5-114(1): "An issuer must honor a draft or demand for payment which complies with the terms of the relevant credit regardless of whether the goods or documents conform to the underlying contract for sale or other contract between the customer and the beneficiary".
335Vgl. Nielsen-Rechtsmissbrauch, S. 254.
336Ebenso BGE 104 II 277 E. 3.
337Canaris Rdn. 942, 957 ff., 1108; Kleiner, S. 147 f.; Dohm Rdnr. 144; Hartmann, S. 99.
338Sion, S. 18.
339Die Einrede i.e.S. ist die Befugnis, die Erfüllung einer geschuldeten Leistung aus besonderem Grunde zu verweigern. Eine Einwendung ist das Vorbringen bestimmter Tatsachen (z.B. Erfüllung einer Forderung), aus denen sich ergibt, dass das Recht entweder nicht entstanden oder untergegangen ist, v.Tuhr/Escher, S. 27 ff.; Gauch/Schluep Nr. 71 ff. Das OR versteht unter Einreden sowohl Einreden i.e.S. als auch Einwendungen, v.Tuhr/Escher, S. 28; Kleiner, S. 41.
340Gauch/Schluep Nr. 1179.
341Schönle, S.74; Canaris Rdn. 1016; Giger, S. 45.
342Vgl. Guhl/Merz/Kummer, S. 90.
343Unter Subrogation versteht man den Übergang von Forderungen auf den Dritten, der den Gläubiger ganz oder teilweise befriedigt hat. Sie kann auf dem Schuldnerwillen oder auf Gesetz beruhen, v.Tuhr/Escher, S. 28 ff.; Gauch/Schluep Nr. 1234 ff.
344Kronauer, S. 123; Kleiner, S. 163 f.
345Guggenheim, S. 11.
346Zum Rechtsgrund von abstrakten Rechtsgeschäften Guhl/Merz/Kummer, S. 89 f.; v.Tuhr/Peter, S. 268, 271 f.
347Kleiner, S. 150 f.; Dohm Rdnr. 100 ff.; Roesle, S. 84.
348UNCITRAL-Report, S. 9 Nr. 38.
349UNCITRAL-Report, S. 17 Nr. 78 f. S. auch unten die Abgrenzung zwischen Standby L/C und Bankbürgschaft § 8.III.B.
350S. unten § 9.III.B.7., 8. und § 10.I.
351S. oben § 7.III.D.5. und § 8.1.B.3.

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