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Flessner, Axel, Geldersatz bei Zahlungsverzug- Eine Skizze zum europäischen Vertragsrecht, in: J.-F. Gerkens, H. Peter, P. Trenk- Hinterberger, R. Vigneron (Hrsg.), Mélanges Fritz Sturm, Éditions Juridiques de l‘Université de Liége, 1999

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Flessner, Axel, Geldersatz bei Zahlungsverzug- Eine Skizze zum europäischen Vertragsrecht, in: J.-F. Gerkens, H. Peter, P. Trenk- Hinterberger, R. Vigneron (Hrsg.), Mélanges Fritz Sturm, Éditions Juridiques de l‘Université de Liége, 1999
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II. - Verzugszins

Die Gesetzgebung sieht als Grundregel eine solche abstrakte Bemessung des Ersatzes vor. Der Gläubiger kann für die Zeit, in welcher der Schuldner mit der Zahlung in Verzug ist, mindestens eine Verzinsung der geschuldeten Geldsumme in gesetzlich geregelter Höhe, den " Verzugszins " verlangen, ohne im einzelnen dartun zu müssen, ob und in welcher Höhe er tatsächlich einen Schaden aus der Nichtzahlung gehabt hat 4 .

Der Sinn des schon im römischen Recht vorkommenden Verzugszinses wird überwiegend darin gesehen, Gläubiger dafür zu entschädigen, daß sie während des Verzuges das Geld nicht ertragbringend einsetzen konnten. Mit dieser Begründung konnte der Verzugszins im Mittelalter auch gegenüber dem Zinsverbot der Kirche beibehalten werden 5 . Er läßt sich allerdings auch rechtfertigen mit der Erwägung, daß dem vertragsbrüchigen Schuldner unabhängig vom Schaden des Gläubigers die Frucht seines Vertragsbruches - die weitere Nutzung des Geldbetrages - abgenommen werden muß, weil sonst ein Anreiz zur Verzögerung geschuldeter Geldzahlungen bestünde 6 .

In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ist der Verzugszins als pauschale Reaktion auf die Nichtzahlung seit Jahrhunderten anerkannt7 . Anders war es in England. Hier hatte im 19. Jahrhundert die Rechtsprechung entschieden, daß die Nichterfüllung von Geldschulden allein noch keine Zinspflicht auslöst. Dieser Standpunkt wurde durch die Gesetzgebung nach und nach zurückgedrängt - aber durch Gesetze zur Gerichtsverfassung und1168 zum Prozeßrecht 8 . Heute sind die Gerichte gesetzlich ermächtigt, zugleich mit der Verurteilung zur Geldzahlung nach ihrem Ermessen auch eine Verzinsung anzuordnen9 . Jedenfalls in Handelssachen wird von dieser Ermächtigung anscheinend auch regelmäßig Gebrauch gemacht 10 . Die verfahrensrechtliche Ermächtigung bedeutet aber, daß nach englischem Recht der Verzugszins die Befassung des Gerichts mit einer Klage auf Zahlung der fälligen Geldsumme voraussetzt. Hatte der Schuldner die Summe verspätet gezahlt, aber der Gläubiger noch keine Klage auf Zahlung erhoben, kann es deshalb nicht mehr zu einer Zinspflicht kommen. Für eine (nachträgliche) Geltendmachung eines Zinsanspruchs fehlt die Grundlage: eine Zahlungsklage kann der Gläubiger jetzt nicht mehr erheben, weil er die geschuldete Summe erhalten hat; einen sonstigen einklagbaren Anspruch auf den Verzugszins hat er nicht. Diese Rechtslage hat das House of Lords noch unlängst, wenn auch mit Bedauern, ausdrücklich bestätigt11 .

Im internationalen Vergleich wirkt die englische Zurückhaltung gegenüber dem Verzugszins altmodisch. Sowohl das Einheitliche Kaufrecht der Wiener Konvention wie auch die Unidroit-Prinzipien und die europäischen Prinzipien schreiben ohne Einschränkung die Verzinsung der verspätet erfüllten Geldschuld vor12 .

[...]

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VI. - Theorien des Verzugszinses

In der Literatur wird von Zeit zu Zeit erörtert, auf welchem Grundgedanken die Verzinsungspflicht beruht oder beruhen sollte: den Gläubiger für die Vorenthaltung des Geldbetrages zu entschädigen, also einen Schaden zu ersetzen, oder dem Schuldner den ungerechtfertigten Vorteil abzufordern, den er durch die vertragswidrige Zurückhaltung des Geldbetrages erhalten hat, also eine Bereicherung abzuschöpfen43 ?

Die theoretische (oder " dogmatische ") Fundierung der Verzinsungspflicht bleibt wirklich " theoretisch ", soweit eine klare Gesetzes- oder Rechtsprechungsregel anzuwenden ist; sie kann aber bei der Auslegung von zweifelhaften Rechtssätzen, bei der Fortbildung von Rechtsprechungsrecht und namentlich bei der Schaffung von Gesetzesrecht mitentscheidender Faktor sein. Besondere Bedeutung mag sie bei internationalen Kaufverträgen erlangen, die nach dem Einheitlichen Kaufrecht der Wiener Konvention zu beurteilen sind. Die Konvention gibt zwar den Anspruch auf Verzinsung des fälligen Kaufpreises (Art. 78), sagt aber nichts über die Höhe des geschuldeten Zinses. Es gibt eine Denkrichtung, welche gleichwohl aus der Konvention selbst und anderen internationalen Rechtsanzeichen hierzu eine Regel entwickeln will44 . Aber soll sie die Höhe des Zinses aus der wirtschaftlichen Situation des Gläubigers oder derjenigen des Schuldners begründen?

In der geschichtlichen Entwicklung dürfte der Gedanke des pauschalierten Schadensersatzes vorherrschend gewesen sein45 . Neuerdings wird jedoch die Funktion der Bereicherungsabschöp-1176 fung, auch dies unter Berufung auf historische Quellen, wieder hervorgehoben 46 .

Die Begründung aus der Gläubigersicht hat den Vorteil, an die Theorie der Vertragsbindung anzuschließen. Mit dem gegenseitigen Vertrag wollen die Beteiligten sich vom anderen verschaffen, was sie noch nicht haben, nicht dem anderen abnehmen, was er vielleicht zuviel hat. Der Vertrag erklärt sich deshalb eher aus den Bedürfnissen des Gläubigers, der die Leistung haben will, als aus denen des Schuldners, der sie versprochen hat. Die Begründung aus der Gläubigersicht vermeidet auch, daß man die theoretische Perspektive wechseln muß je nachdem, ob man den Verzugsschaden konkret berechnet oder den Gläubiger pauschal(mit dem Verzugszins) entschädigen will, und daß man gar mit beiden Perspektiven gleichzeitig arbeiten muß, wenn der Gläubiger den gesetzlichen Zins und den Ersatz des darüberhinausgehenden konkreten Schadens beansprucht. Eine der letzteren vergleichbare umgekehrte Situation - der Gläubiger kann vom säumigen Schuldner dessen Bereicherung in Höhe des gesetzlichen Zinses herausverlangen, aber auch eine konkret erzielte weitere Bereicherung - kommt in der Gesetzgebung nicht vor and wird von der bereicherungstheoretischen Auffassung des Verzugszinses auch nicht befürwortet47 .

Die bereicherungsrechtliche Auffassung wird hauptsächlich darauf gestützt, daß die Zinspflicht (als Fälligkeits- oder Verzugszins) unabhängig vom Verschulden sei48 . Dabei läßt sie aber außer acht, daß die Abhängigkeit vom Verschulden kein in ganz Europa anerkanntes Wesenselement des Schadensersatzes ist, daß vielmehr insbesondere das englische Vertragsrecht vom gegenteiligen Prinzip der Garantiehaftung ausgeht49 . Auch suchen die neueren für Europa wichtigen Regelwerke einen pragmatischen Mittelweg zwischen dem Verschuldensprinzip und der reinen Garantiehaftung, indem sie einerseits nicht das Verschulden als Haftungsvoraussetzung postulieren, andererseits gewisse Erfül-1177 lungshindernisse als Entlastungsgründe für den Schuldner akzeptieren50 .

Die bereicherungsorientierte Auffassung kann ferner kaum einen Fall vorweisen, in dem das Ausbleiben oder die Verspätung der Zahlung vom Schuldner - selbst bei Geltung des Verschuldensprinzips - nicht zu vertreten gewesen wäre51 . Der vielberufene Fall der plötzlichen Devisensperre52 ist schwerlich ein Anlaß, die Zinsverpflichtung bei Nichtzahlung allgemein auf ein eigenes, bereicherungstheoretisches Fundament zu stellen. Im Europa der Währungsunion wird mit diesem Fall ohnehin nicht mehr argumentiert werden können.

Die Begründung des Zinsanspruchs aus dem Nichterfüllungsschaden des Gläubigers erscheint nach allem als die praktischere Theorie, doch braucht man die andere Seite, den vertragswidrigen Vorteil des säumigen Schuldners, nicht als unerheblich abzutun. Wenn Gesetzgebung und Rechtspraxis dem Gläubiger den Zins unabhängig von seinem konkreten Schaden zubilligen, können sie sich durch einen Blick auch zum Schuldner die Beruhigung verschaffen, daß dieser in vermutlich demselben Maße aus dem zurückgehaltenen Geldbetrag seinen Vorteil ziehen konnte und deshalb vom pauschalen Rechnen nicht unangemessen benachteiligt wird.

4 " Interêts moratoires ", " wettelijke rente ", " dröjsmålsränta ", " forhalingsrente ", " morarente ", interessi moratori ", " juros de mora ". § 288 BGB; Art. 104 OR ; § 1333 ABGB ; Art. 1153 frz. CC ; Art. 1224 it. CC; Art. 806 port. CC; Art. 345 griech. ZGB ; Art. 6:119 NBW ; Schwedisches Zinsengesetz von 1975 (Räntelag) §§ 2-4 ; Dänisches Zinsengesetz von 1986 (Rentelov) § 3 ; Norwegisches Zinsengesetz von 1976 (Rentelov) § 2.
5 Dazu Zimmermann (oben N.1) 799 ; Ursula Königer, Die Bestimmung der gesetzlichen Zinshöhe nach dem deutschen Internationalen Privatrecht (Berlin 1997) 38ff.
6 Dazu ausführlich Jürgen Basedow, Die Aufgabe der Verzugszinsen in Recht and Wirtschaft, in : Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (ZHR) 143 (1979) 317 (322-324).
7 Zimmermann (oben N.1) 799 ; Königer (oben N.5) 32-46.
8 Über die Entwicklung im einzelnen : Harvey McGregor (oben N.3) Rz. 573, 576. Ausführlich auch Peter Wessels, Zinsrecht in England und Deutschland - Eine rechtsvergleichende Untersuchung (Berlin 1992) 100ff.
9 Supreme Court Act 1981, Section 35 A ; wiedergegeben bei McGregor (oben N.3) Rz. 574. Weitere Einzelheiten bei Wessels (vorige N.) 100-102.
10 Entscheidungen genannt bei McGregor (oben N.3) Rz. 578.
11 President of India v. La Pintada Compania Navigación (1985) 1. A.C. 104.
12 Einheitliches Kaufrecht, Art. 78 ; Art. 7.4.9 UP ; Art. 4.507 EP.
43 Ausführlich Kindler (oben N.20) besonders 119-149 mit weiteren Nachweisen über die Literatur, besonders Italiens und Österreichs.
44 Überblick über den Meinungsstand bei Kindler (oben N.20) Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht (Tübingen 1996) Rz. 3
45 Zimmermann (oben N.1) ; Königer (oben N.5).
46 So Kindler (oben N.20) 138-149.
47 So ausdrücklich auch Kindler (oben N.20) 336f.
48 Kindler (oben N.20) 120f. mit Nachweisen über die so argumentierende italienische, österreichische and deutsche Literatur.
49 Treitel, Remedies (oben N.1) 7-13 ; Konrad Zweigert / Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung³ (Tübingen 1996) 501-503.
50 Einheitliches Kaufrecht Art. 79 ; Art. 7.1.7 UP; Art. 3.108 EP.
51 In der besonders ausführlichen Untersuchung von Kindler (oben N.20) wird kein solcher Fall aus der Rechtsprechung genannt.
52 Siehe oben zu N.26.

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