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Seybold, Martin, Die ungerechtfertigte Bereicherung auf internationaler Ebene- Eine rechtsvergleichende Analyse für die Rechtspraxis im internationalen Wirtschaftsrecht, Baden-Baden 2004

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Seybold, Martin, Die ungerechtfertigte Bereicherung auf internationaler Ebene- Eine rechtsvergleichende Analyse für die Rechtspraxis im internationalen Wirtschaftsrecht, Baden-Baden 2004
Table of Contents
Content

Teil 3: Der materiellrechtliche Inhalt des Instituts der ungerechtfertigten Bereicherung

[...]

D. Die vergleichende Analyse

[...]

2. Wertende Vergleichung der ungerechtfertigten Bereicherung

[...]

136

h. Zusammenfassung

In jeder untersuchten Rechtsordnung beruht das Bereicherungsrecht auf dem Prinzip der Billigkeit. Der Begriff der Billigkeit stellt sich dabei aber selbst als sehr vielschichtig dar. So kennt das englische Recht eine eigenständige Equity Rechtsprechung. Aber nicht nur dort ist das Prinzip des "unjust enrichment" anerkannt. Auch im Common Law ist mittlerweile anerkannt, dass dieses Prinzip letztlich auf natural justice and equity" zu stützen ist. Zu bezweifeln ist außerdem, dass alle kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen Billigkeit gleich interpretieren würden. Da sich das Bereicherungsrecht aber in allen untersuchten Rechtsordnungen einen festen Platz erobert hat, bedarf es der ständigen Hervorhebung der Billigkeit als Grundlage des Bereicherungsrechts nicht mehr.

Translation Vielmehr gilt ein allen Rechtsordnungen bekanntes Prinzip, dass derjenige, der zum Nachteil eines anderen bereichert ist, den Gegenstand wieder herauszugeben hat, wenn kein rechtfertigender Grund zum Behaltendürfen besteht.

Ein so formulierter Grundsatz ist gleichberechtigt neben vertraglichen und deliktischen Ansprüchen zu stellen. Dort, wo die Voraussetzungen nicht weiterhelfen, hat man sich darauf zu besinnen, dass es um die Schaffung eines billigen und gerechten Ausgleichs geht. Dabei ist aber zu beachten, dass mit Hilfe der Billigkeit kein Teilrechtsgebiet geschaffen wird, das höherrangiger neben den anderen nationalen Rechtsgebieten steht604

Aber über die Feststellung eines übereinstimmenden, dem Institut der ungerechtfertigten Bereicherung zugrundeliegenden Prinzips hinaus, lassen sich Merkmale feststellen, die allen Rechtsordnungen bekannt sind. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass hinsichtlich eines jeden vorstehenden Gliederungspunktes ein übereinstimmender Kernbereich festgestellt werden konnte. Dies gilt auch dann, wenn die einzige Übereinstimmung darin besteht, dass in der jeweiligen Rechtsordnung versucht wurde, Lösungen and Antworten auf spezielle Probleme zu finden. Welche Konsequenzen dies für einen allgemeinen Grundsatz des Unjust Enrichment auf internationaler Ebene hat, wird dabei im folgenden Kapitel erörtert werden.

E. Der allgemeine Rechtsgrundsatz der ungerechtfertigten Bereicherung auf internationaler Ebene

[...]

139

2. Der materiellrechtliche Inhalt

Der Inhalt eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes betreffend die ungerechtfertigte Bereicherung auf internationaler Ebene stellt sich damit wie folgt dar.

a. Allgemeiner Grundsatz

Ein allgemeiner Rechtgrundsatz liegt dann vor, wenn ein Grundsatz vorliegt, der in foro domestico "from as many national legal orders as is possible" anerkannt ist610

Nach eingehender Untersuchung der englischen, amerikanischen, französischen, italienischen and deutschen Rechtsordnung lässt sich mithin folgender allgemeiner Grundsatz formulieren611

Wer zum Nachteil eines anderen ungerechtfertigt bereichert ist, ist zur Herausgabe des erlangten Gegenstands verpflichtet.

Daraus ergeben sich folgende fünf Merkmale die bei der Geltendmachung eines Anspruchs aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung beachtet werden müssen:

Anwendbarkeit des Grundsatzes

Bereicherung des Beklagten

Zum Nachteil des Klägers

Kein Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes

Umfang der Herausgabe

140

b. Die einzelnen Merkmale

Unter Heranziehung der durch die wertende Vergleichung der nationalen Rechtsordnungen gefundenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede können die Merkmale dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Einzelnen wie folgt konkretisiert werden.

(aa) Anwendbarkeit des Grundsatzes

Die grundsätzliche Subsidiarität der ungerechtfertigten Bereicherung muss beachtet werden. Dort wo ein speziellerer Anspruch zur Durchsetzung der Rückforderungsansprüche besteht, ist kein Raum für einen allgemeinen Bereicherungsanspruch. Dies gilt insbesondere für vertragliche Rückforderungsansprüche and Schadensersatzansprüche. Ist der Kläger in seiner Durchsetzung wegen spezieller Einwendungen aus diesen Ansprüchen gehemmt, dann kann er nicht auf die ungerechtfertigte Bereicherung ausweichen. Andernfalls würden diese grundsätzlich vorrangigen Regeln ausgehebelt werden. Die Subsidiarität ist notwendig, da nur so eine Übereinstimmung mit den hier eindeutigen Regelungen des italienischen and französischen Rechts erzeugen lässt. Der Vorrang von vertraglichen Regeln ergibt sich aus der Spezialität von Einzelvereinbarungen. Auch wenn hinsichtlich der unterschiedlichen Zweckrichtungen and Voraussetzungen zwischen Delikts und Bereicherungsrecht gute Gründe dafür bestehen, eine Auswahlmöglichkeit zuzulassen, muss im Sinne notwendiger Übereinstimmung an der Subsidiarität festgehalten werden. Da es auf internationaler Ebene keine allgemein gültigen, spezielleren Herausgabeansprüche gibt, ist damit die ungerechtfertigte Bereicherung immer dann anzuwenden, wenn weder Ansprüche aus Deliktsrecht noch vertragliche Herausgabeansprüche bestehen(vgl. jedoch zur WÜV, insbesondere aber zur Entschädigung im Völkerrecht unten Gliederungspunkt 3. a.).

(bb) Bereicherung des Beklagten

Unter diesem Merkmal wird festgestellt ob der Beklagte einen Vermögensvorteil erlangt hat. Der Vermögensvorteil ist dabei sehr weit zu verstehen. Beim Vermögen des Beklagten muss objektiv messbar eine wirtschaftliche Verbesserung eingetreten sein. Darunter fallen auch Besitzerlangungen, die Befreiung von Verbindlichkeiten, die Ersparnis von Aufwendungen durch die Entgegennahme von Dienstleistungen oder die Nutzungsziehungen aus einem fremden Recht. Wesentlich ist, dass durch den Übergang in das Verrmögen des Beklagten eine Mehrung seiner Vermögenslage eingetreten sein muss. Insbesondere bei der Ersparnis von Aufwendungen ist deshalb zu überprüfen, ob normalerweise vom Bereicherten eine Geldleistung als Gegenleistung hätte erbracht werden müssen.

141
(cc) Zum Nachteil des Klägers

Seitens des Klägers muss dagegen eine Vermögensminderung eingetreten sein. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass beim Kläger eine Vermögensminderung eingetreten ist. Nur derjenige, der eine Minderung seines Vermögens geltend machen kann, kann auf Rückforderung klagen. Wie bei der Vermögensmehrung ist auch der Begriff der Vermögensminderung grundsätzlich weit auszulegen. So fallen darunter ebenfalls Arbeitsleistungen und Gebrauchsüberlassungen, also all diejenigen Handlungen, die seitens des Beklagten zu einer Vermögensmehrung geführt haben.

Entscheidender für dieses Merkmal ist jedoch das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen Be- und Entreicherung. Der Bereicherungsgegenstand muss dabei grundsätzlich direkt bzw. unmittelbar vom Kläger erlangt sein. Damit sind Mitwirkungen Dritter innerhalb eines Bereicherungsvorganges grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmsweise kann aber auch, wenn ein Dritter an der Bereicherung beteiligt war, direkt vom Bereicherten zurückgefordert werden. Nicht notwendig ist dabei, als Kriterium eine Leistungsbeziehung zwischen Kläger and Beklagtem zu fordern also danach zu fragen, ob sich die Vermögensverschiebungen zwischen den Beteiligten nicht als direkte zweckgerichtete Vermögensverschiebung an den Beklagten darstellt. Es reicht aus, dass ein Dritter sine qua non an der Bereicherung des Beklagten beteiligt war. Notwendig ist aber eine Abwägung aller beteiligten Interessen im Einzelfall.

In den so genannten Anweisungsfällen besteht damit eine grundsätzliche Möglichkeit nach einer Abwägung im Einzelfall eine Rückforderung zu gewähren. Dort, wo der Kläger nur die Insolvenz der von ihm gewählten Partei umgehen will, kann jedoch eine Rückforderung nur gegenüber dieser Dritten Person erfolgen, denn das Risiko der Insolvenz hat der Kläger zu tragen, soweit ihm zuvor die freie Auswahl des Schuldners möglich war. Eine allgemeine Zulässigkeit der Rückforderung bei vorhandener Kausalität im Sinne einer sine qua non Verknüpfung, wie sie Frankreich kennt, kann angesichts aller anderen Rechtsordnungen jedenfalls nicht ausreichen. Eine Missachtung des französischen Rechts ist gleichwohl nicht gegeben, da sich das Unmittelbarkeitserfordernis als spezielles Zurechenbarkeitskriterium innerhalb der allgemeinen Kausalitätsformel darstellt.

(dd) Kein Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes

Unter diesem Merkmal ist festzustellen, ob ein rechtfertigender Grund besteht, damit der Beklagte den vom Kläger herausverlangten Gegenstand behalten darf. Da auch die anglo amerikanische Rechtsordnung grundsätzlich das Merkmal einer "unjust retention" kennt, das auf dem Grundsatz einer "natural justice and equity" beruht, hat dieses Merkmal einen eigenständigen and abstrakten Charakter. Dennoch ist für jeden Einzel- 142 fall gesondert festzustellen, ob ein Behaltensgrund besteht. Hat der Kläger selbst den Gegenstand an den Beklagten verfügt, ist der Zweck der Leistung des Klägers zu untersuchen. Dieser Leistungszweck ist nach der im konkreten Fall einschlägigen Rechtsordnung zu ermitteln und kann sich deshalb wiederum selbst aus internationalen Prinzipien des Handelsrechts oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. Bestand dabei von Anfang an kein Behaltensgrund oder ist dieser später weggefallen, dann ist der Gegenstand grundsätzlich herauszugeben (beachte aber die Ausnahmen nachstehend unter (ff) (1) Rückforderungsrecht bei gesetzes- und sittenwidrigen Verträgen). Die Unterscheidungen des anglo amerikanischen Rechts zwischen "mistake", "compulsion" und "ineffective transaction" sind eine Besonderheit dieser Rechtsordnung. Nur wenn der Rechtsgrund der Leistung nach dem anglo amerikanischen Recht zu beurteilen ist, hat die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsgrundes nach deren Unterscheidung zu erfolgen.

Bei eigenen Handlungen des Klägers besteht die Ermittlung des Rechtsgrundes also in der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines die Leistung des Klägers rechtfertigenden Zweckes. Bei Eingriffen des Beklagten dagegen ist zu überprüfen, ob ein fremdes Recht besteht, das die Vermögensmehrung rechtfertigt. Dabei ist stets der Sinn und Zweck des Gesetzes zu ermitteln.Wie die das Eigentum betreffenden Regelungen zeigen, kann zwar das Gesetz den Übergang des Eigentumsrechts bestimmen. Dies bedeutet aber nicht, dass damit zugleich eine Vermögensmehrung beim Beklagten gebilligt wird. Die einschlägigen Normen müssen deshalb genauestens auf ihre Aussage zum Zuweisungsgehalt des Vermögenswertes des betroffenen Rechts hin untersucht werden.

Der Behaltensgrund muss zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehen. Das Bestehen eines Rechtsgrundes im Verhältnis zu einem Dritten reicht nicht aus. Ein Widerspruch zum französischen Recht entsteht dabei nicht, denn die Zulassung eines jeden Rechtsgrunds, gleich innerhalb welchen Verhältnisses, besteht ausdrücklich nur zur Begrenzung der Dreiecksverhältnisse. Da jedoch die ungerechtfertigte Bereicherung auf internationaler Ebene schon durch das Unmittelbarkeitskriterium innerhalb des Merkmals des "Nachteils des Klägers" begrenzt ist, stellt sich die französische Regelung als nationale Besonderheit dar, die auf internationaler Ebene anderweitig ausreichend berücksichtigt wurde. Auch wenn schon im Rahmen des Merkmals "zum Nachteil des Klägers" eine Abwägung stattgefunden hat, ist damit noch keine Entscheidung über das Bestehen eines Rechtsgrundes gefallen. Dies ist vielmehr gesondert festzustellen.

(ee) Umfang der Herausgabe

Herauszugeben ist vorrangig der Bereicherungsgegenstand. Ist dieser nicht mehr vorhanden, so ist der objektive Wert zu ersetzen. Macht der Beklagte den Einwand der 143 nachträglichen Entreicherung geltend, ist grundsätzlich zwischen Geldleistungen und anderen Vermögensmehrungen zu unterscheiden. Geldleistungen können stets zurückgefordert werden. Dabei ist aber nur die zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch vorhandene Vermögensmehrung herauszugeben. Bei allen anderen Vermögensmehrungen ist unter Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall der Entreicherungseinwand möglich. In Betracht kommen dabei vor allem Untergang, Verlust, Verbrauch ohne Ersparnis oder Ausgaben auf das Erhaltene.

Der Entreicherungseinwand stellt sich in allen Rechtsordnungen als die Gewährung einer Einwendung also als Verteidigungsmöglichkeit für den Beklagten dar. Da wegen des Übereinstimmungserfordernisses auf den "kleinsten gemeinsamen, Nenner" aller Rechtsordnungen abgestellt werden muss, kann der weitgehenden Regelung des deutschen Rechts nicht nachgekommen werden. Auch das anglo amerikanische Recht kann deshalb nur insoweit anerkannt werden, wie das italienische and französische Recht geht.

Sehr fraglich ist, ab wann ein Fall der Bösgläubigkeit vorliegt. Aufgrund der unterschiedlichen Ansatzpunkte der untersuchten Rechtsordnungen gestaltet sich die Ermittlung von Übereinstimmungen sehr schwierig. Jedenfalls steht fest, dass bei Eingriffen des Beklagten selbst in das Vermögen des Klägers der Entreicherungseinwand nicht möglich ist. Das deckt sich auch mit dem sehr restriktiven italienischen and französischen Recht, das unter Bösgläubigkeit auch das Kennen müssen versteht.

Original Moreover, there is a common legal principle known in all legal systems that a person who is enriched at the expense of another is obliged to return the item received, if there is no justifying ground for retention of that item.

604Zweigert/ Kötz 1996, S. 564.
610Vgl. oben Teil 2 4. b. (bb); obwohl dies ausdrücklich nur im Rahmen des Völkerrechts so definiert wurde, gilt dies auch für die lex mercatoria, denn die Parteien wollen eine Entscheidung, die auf einem von der Mehrheit der Staaten innerstaatlich anerkannten, international gültigen Rechtssatz beruht.
611 Siehe schon oben die Zusammenfassung unter Gliederungspunkt Teil 3 D. 2. h.

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