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Löffler, Reinhard, Vertragsstrafe und pauschalierter Schadensersatz im anglo-kanadischen Common Law und dem Recht der Provinz Quebec, Pfaffenweiler 1986

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Löffler, Reinhard, Vertragsstrafe und pauschalierter Schadensersatz im anglo-kanadischen Common Law und dem Recht der Provinz Quebec, Pfaffenweiler 1986
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Siebtes Kapitel: Die Reformarbeiten für ein neues Zivilgesetzbuch in der Provinz Québec

I. Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Revision

Seit 1966 arbeitet eine Reformkommission an einer umfassenden Neubearbeitung des Zivilgesetzbuches530. Die Gründe für die Notwendigkeit einer Gesetzesreform liegen im wesentlichen darin, daß seit der Einführung des Code civil im Jahre 1866 nur einige wenige Artikel des Obligationenrechts reformiert oder neu eingeführt wurden531. Im übrigen war das Zivilgesetzbuch keinen tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt. Die Reformkommission ist der Auffassung, die Notwendigkeit einer Revision bestehe deshalb, weil das Gesetz von 1866 auf der Wirtschaftsphilosophie des Liberalismus basiere und nicht mehr dem sozialen und ökonomischen Wandel entspräche, der sich in den letzten hundert Jahren in Québec vollzogen hat532. Die zeitgenössische Beschreibung des Vertragsrechts als das Produkt des freien Spiels der Kräfte kommt in den Kommissionsarbeiten als "qui dit contractuel, dit juste" zum Ausdruck533. Vertragliche Schuldverhältnisse als unwandelbares Recht zwischen den Parteien könnten aus vielfältigen Gründen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die wachsende staatliche Verantwortlichkeit gegenüber sozial Schwachen und geschäftlich Unerfahrenen gebiete zugunsten dieser Personengruppen die Einführung von Rechtsnormen, die die inhaltlichen Schranken von Verträgen festlegen. Die Gerichte sollen die gesetzliche Möglichkeit haben, gestaltend in vertragliche Schuldverhältnisse einzugreifen. Bestehende Verbraucher- und Mieterschutzgesetze werden in das Zivilgesetzbuch hineingenommen534. Darüber hinaus besteht auch ein Bedürfnis, das Schuldrecht durch ergänzende Normen zu vervollständigen. So fehlt zum Bei-

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spiel eine Regelung über das Zustandekommen von Verträgen. Bisher blieb es der Rechtsprechung vorbehalten, die rechtlichen Voraussetzungen von Angebot und Annahme zu entwickeln535. Ferner ist u.a. eine umfassende Neuschaffung des Schadensersatzrechts geplant536. Auch hier mußte die Rechtsprechung teilweise in Anlehnung an das common law die Lücken des Gesetzes füllen. Unklarheiten, wie sie bei der Auslegung des Gesetzestextes in der Rechtsprechung entstanden sind, will der Entwurf ebenfalls bereinigen537. Das neue Zivilgesetzbuch sieht beispielsweise vor, daß frais de justice-Klauseln nichtig sind.

Der Entwurf des Obligationenrechts ist bereits abgeschlossen. Bisher ist aber erst das Familienrecht in jüngster Zeit als Gesetz verabschiedet worden. Oberstes Prinzip des Entwurfs des Zivilgesetzbuchs bleibt die Vertragsfreiheit, die, um Mißbrauchsgefahren vorzubeugen, Einschränkungen und Kontrollen hinnehmen muß538. Die Reform der clause pénale wurde bereits zu einem Zeitpunkt erwogen, als es in Frankreich noch keine Bestrebungen zur Neugestaltung des Rechts der clause pénale von seiten des Gesetzgebers gab539.

II. Die legislative Konzeption 540

Das Recht der Vertragsstrafen. findet sich im Entwurf des Obligationenrechts in Kapitel VI, Section I, II, 2 Artt. 304 - 310. Bereits aus der Überschrift des Abschnitts II "De l'évaluation contractuelle" läßt sich eine mögliche Tendenz der Reform erkennen, das schadensersatzrechtliche Element der Vertragsstrafe zu betonen. Die in Art. 304 vorangestellte Definition der clause pénale hat folgenden Wortlaut:

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"La clause pénale est celle par laquelle le débiteur convient de se soumettre à une peine au cas où il n'exécuterait pas son obligation."

Die vorgeschlagene Legaldefinition unterscheidet sich von der bestehenden Gesetzeslage. Auffallend ist, daß die clause pénale nicht mehr als Sekundärschuldverhältnis in Beziehung zur Primärobligation gebracht wird. Die Reformkommission betrachtet die bisherige Rechtslage als zweifelhaft und meint, sie führe zur Verwirrung bei der Abgrenzung zur facultas alternativa und zu Wahlschuldverhältnissen541. Diese Auffassung überrascht. Sie ist konträr zur Literaturmeinung, die gerade in dieser Abgrenzung ein besonderes Unterscheidungsmerkmal sieht542. Auch die Rechtsprechung stimmt in dieser Auffassung mit der Lehre überein. Die Gerichts haben zwar eine Verwandtschaft der clause pénale zur obligation conditionelle konstatiert; dennoch ist eine Differenzierung unproblematisch. Clause pénale und Primärobligation bestehen nebeneinander; bei einer obligation conditionelle besteht dagegen nur ein Schuldverhältnis: Die vorgesehene Rechtsfolge ist abhängig von einem zukünftigen ungewissen Ereignis543. Die Existenz zweier Schuldvehältnisse ist auch kennzeichnend für eine Unterscheidung von einer obligation alternative, deren Charakteristikum ein vereinbartes Wahlrecht ist. Bei einer obligation facultative kann sich der Schuldner durch die Hingabe einer anderen Sache als der geschuldeten befreien. Dieses Recht ist allein dem Gutdünken des Schuldners vorbehalten. Bei der clause pénale hat der Schuldner diese Befreiungsmöglichkeit nicht544.

Die vorliegende Abgrenzungsproblematik ist aber nicht der Hauptgrund der Neukonzeption für die clause pénale. Dagegen spricht auch die relative

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Seltenheit einer Ersetzungsbefugnis oder eines Wahlschuldverhältnisses. Mit der Neufassung beabsichtigt die Reformkommission primär die Klarstellung, daß der Gläubiger sich mit der clause pénale Ersatz auch für solche Schäden sichern kann, die keine Vermögensschäden sind. Die Vertragsstrafe soll den Charakter eines Erfüllungssurrogats bzw. einer Leistung an Zahlungsstatt (dation en paiement) annehmen können545. Durch die Neufassung wird Art. 1132 S. 1 Cc überflüssig. Bei der Nichtigkeit der Klausel ist aber nicht das gesamte Schuldverhältnis ungültig, sondern gemäß Art. 51546 besteht eine Vermutung, daß der übriggebliebene gültige Teil einklagbar bleibt. Ergänzt wird Art. 304 durch Art. 305:

"La peine est due sans que le créancier soit tenu de prouver le préjudice que l'inexécution lui a causé."

Einerseits wird damit das forfait-Prinzip des bestehenden Rechts niedergelegt, andererseits aber auch anerkannt, daß die Vertragsstrafe als Pressionsmittel angesehen werden kann. Der Reformvorschlag sieht in der Vermeidung eines schwierigen Schadensbeweises und in der Verhinderung eins Streites über die Höhe des Schadens das Hauptanliegen der clause pénale. Die Reform will an der traditionellen Doppelfunktion der Vertragsstrafe festhalten. In Art. 306 ist ein richterliches Modifikationsrecht vorgesehen:

"La clause pénale est soumise aux dispositions de l'article 76."

Art. 76 besagt:

"La clause abusive d'un contrat est annulable ou réductible."

Als einzige Begründung für das richterliche Reduktionsrecht verweist die Kommission auf ausländische Gesetze, auch auf die deutsche Rechtslage547. Nicht berücksichtigt wurde dabei die französische Gesetzesre-

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form. Dies hängt aber damit zusammen, daß die Reform zum Obligationenrecht schon vor 1975 fertiggestellt wurde. Zur Frage, wann eine Strafsumme mißbräuchlich ist und um welchen Betrag die Strafsumme angemessen herabgesetzt werden muß, gibt die Kommission keine Anhaltspunkte In den Materialien zu Art. 306 findet sich auch nur die Begründung, es sei vernünftig, daß Art. 76 auch auf das Recht der Vertragsstrafe anzuwenden sei548. Aus der Stellung des Art. 76, der nicht nur auf Vertragsstrafeklauseln Anwendung findet, läßt sich entnehmen, daß den Gerichten ein weitgehender Ermessensspielraum bei der richterlichen Vertragsgestaltung zugebilligt wird. Welche Kriterien die Gerichte bei ihrer Entscheidungsfindung zugrunde legen, wird erst die Zukunft zeigen.

Art. 307 lehnt sich eng an Art. 1133 Cc an und läßt diese Vorschrift nahezu unverändert. In Art. 307 Abs. 2 wurde das Wort seul anstatt simple aus stilistischen Gründen eingesetzt. Ansonsten sind Art. 307 Abs. 2 und Art. 1133 Abs. 2 Cc identisch.

Das Reduktionsrecht des Art. 1135 Abs. 2 Cc soll durch Art. 308 ersetzt werden:

"La peine stipulée peut être réduite si l'exécution partielle de l'obligation a profité au créancier."

Die Regelung de lege lata war so konzipiert, daß einer teilweisen Leistungserfüllung durch eine korrelate Kürzung des Strafbetrages Rechnung getragen werden mußte, weil dies dem wahren Parteiwillen entsprechen würde. De lege ferenda soll mit Art. 308 aber auch eine Angemessenheitskontrolle ausgeübt werden können. Zwar sollen sich die Gerichte bei der Reduktion des Strafbetrages an der teilweisen Leistungserfüllung orientieren, dennoch gibt der Wortlaut des Art. 308 dem Richter Spielraum für die Festsetzung der Strafsumme549. Auch hier will die Reformkommission den Gerichten nicht vorschreiben, welche Kriterien sie bei der Herabsetzung des Strafbetrages anwenden müssen. Hingewiesen hat die Kommission

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lediglich darauf, daß diese Vorschrift seine spezielle richterliche Reduktionsbefugnis festschreibt, die neben den allgemeinen Vorschriften wie, Art. 76, Art. 40 (lésion) und Art. 75 (imprévision550) besteht.

Gemäß Art. 309 kann die Strafe nur verwirkt werden, wenn der Schuldner mit der Erfüllung der Hauptverpflichtung in Verzug kommt und er die Vertragsverletzung somit zu vertreten hat. Diesen Regelfall können die Parteien aber auch durch eine vom Verschulden unabhängige Garantiehaftung ersetzen. Im wesentlichen entspricht Art. 309 der gesetzlichen Regelung in Art. 1134 Cc:

"Le créancier ne peut se prévaloir de la clause pénale avant que le débiteur ne soit en demeure d'exécuter son obligation:"

Art. 1136 und Art 1137 fallen weg. Statt dessen will die Reformkommission im Schlußartikel die strittige Frage der frais de justice-Klauseln endgültig aus der Welt schaffen, indem die Unwirksamkeit solcher Klauseln festgelegt wird551.

530Crépeau P.A., (1966) 44 Can.Bar Rev. 389; Baudouin J.L., (1966) 44 Can.Bar Rev. 391; ders., (1975) 53 Can.Bar Rev. 715; Haanapple P.P.C., (1982) 60 Can.Bar Rev. 393.
531Art. 982 - 1202 Cc.
532Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text), S. 551.
533Ibidem.
534Vgl. Crépeau P.A., (1974) 34 La.L.Rev. 921, 936 ff.
535Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II.(engl. Text), S. 553.
536Ibidem, S. 553 f.
537Crépau P.A., (1974) 34 La L.Rev. 921, 930.
538Baudouin J.L., (1966) 44 Can.Bar Rev. 391, 398 f.
539Zur Reform in Frankreich, vgl. ausführlich Fischer D., S. 115 ff.
540Siehe Anhang Nr. 5.
541Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text), S. 689.
542Caron Y., (1974) Chambre des Notaires de la Province de Québec, 19, 28.
543Siehe dazu de Villargues: "La clause pénale a d'autant plus d'affinité avec les obligations conditionnelles que, non seulement elle est conçue dans la méme forme, mais qu'elle est réellement conditonnelle, puisque l'effet en est subordonné à l'inexécution de l'obligation à laquelle est attachée.", zitiert nach Lavallée, (1931) 34 R. du N. 298.
544Vgl. zu beiden Formen, Joron, (1939) 41 R. du N. 305, 308 f.
545Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text), S. 690.
546Art. 51: "La nullité d'une clause n'entraîne pas la nullité du contrat, a moins qu'il ne résulte de sa nature ou de la volonté des parties qu'il n'aurait pas été conclu sans elle."
547Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text), S. 614.
548Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text.), S. 687.
549So ausdrücklich in den Materialien, Rapport sur le Code civil du Québec, Bd. II (engl. Text), S. 690.
550Dieser Artikel normiert den Bereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage: "La survenance de circonstances imprévisibles qui rendent l'exécution du contrat onéreuse ne libère pas lé débiteur de son obligation. "Abs. 2: "Exceptionellement, le tribunal peut, nonobstant tonte convention contraire, résoudre, résilier ou réviser un contrat dont l'exécution entraînerait un préjudice excessif pour l'une des parties. par suite de circonstances imprévisibles qui ne lui sont pas imputables."
551Art. 310: ''la clause par laquelle le débiteur s'engage à payer les frais de perception au cas où il ferait défaut de payer sa dette à échéance est sans effet."

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