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BGH NJW 1998, 2966

Title
BGH NJW 1998, 2966
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2966

Auslegung einer Versorgungszusage

BGB § 133

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist anzunehmen, eine vertragliche Bestimmung solle nach dem Willen der Parteien einen bestimmten rechtserheblichen Inhalt haben. Deshalb ist bei mehreren an sich möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsnorm eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese Regelung ansonsten als (teilweise) sinnlos erweisen würde.

BGH, Urteil vom 18. 5. 1998 - II ZR 19-97 (Frankfurt a. M.)

Zum Sachverhalt:

Der am 29. 12. 1943 geborene Kl. war vom 1. 10. 1987 bis 30. 3. 1994 als Mitglied des Vorstands der bekl. Genossenschaft tätig. Aufgrund des § 9 des schriftlich geschlossenen Anstellungsvertrags vom 2. 7. 1987 sagte die Bekl. dem Kl. am 4. 8. 1987 eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung zu. Gem. § 2 sollte sich die Ausgangsbasis der Versorgungsbezüge entsprechend prozentual erhöhen, wenn tarifliche Gehaltserhöhungen bei dem der „Besoldung bzw. den Versorgungsbezügen des Versorgungsberechtigten zugrundeliegenden Tarif“ erfolgten. Am 29. 4. 1994 kam es zu einem schriftlichen Aufhebungsvertrag. Nach § 5 waren sich die Parteien darüber einig, daß „dem Geschäftsführer die Versorgungsansprüche aus der Versorgungszusage vom 4. 8. 1987 zustehen“ und daß „die erreichte Anwartschaft für das zu erwartende Ruhegeld (nicht Invalidenrente) 42,6% der Berechnungsgrundlage beträgt, weil das Jahr 1994 für die Versorgungszusage angerechnet wird“. Der Kl. verlangte - soweit jetzt noch im Streit - die Feststellung, daß die Bekl. verpflichtet ist, ihm bzw. seiner versorgungsberechtigten Ehefrau im Versorgungsfall Versorgungsbezüge zu gewähren, bei deren Bemessung die tarifliche Anpassung gem. § 2 der Versorgungszusage vom 4. 8. 1987 auch nach der Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Dienstverhältnisses am 30. 3. 1994 berücksichtigt wird (Klageantrag zu 1). Außerdem beantragte er, die Bekl. zu verurteilen, ihm bzw. seiner versorgungsberechtigten Ehefrau die jährliche tarifliche Anpassung seiner Versorgungsbezüge gem. § 2 der Versorgungszusage vom 4. 8. 1987 spätestens bis zum 30. 12. des jeweiligen Jahres mitzuteilen (Klageantrag zu 2). Endlich begehrte er die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung von 8905,18 DM und Zinsen an ihn seit dem 5. 9. 1994 (Klageantrag zu 3).

Das LG hat der Klage stattgegeben, das BerGer. hat sie abgewiesen. Die Revision war erfolgreich.

Aus den Gründen:

Dem Kl. stehen die mit seinen Anträgen 1 und 2 geltend gemachten Ansprüche zu. Im übrigen (Klageantrag zu 3) führt die Revision zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

A. Die mit dem Klageantrag zu 1 erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Das BerGer. hat diese Frage offengelassen und ausgeführt, das von § 256 I ZPO geforderte rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung sei nur für eine dem Kl. günstige Sachentscheidung Prozeßvoraussetzung; die Klage sei aber abzuweisen. Die hierin zum Ausdruck kommenden rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der positiven Feststellungsklage vermag der Senat nicht zu teilen. Die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge begründen ein Rechtsverhältnis i. S. des § 256 I ZPO. Die Bekl. bestreitet nachdrücklich die Richtigkeit der von dem Kl. vorgenommenen Auslegung dieser Verträge. Ihm ist nicht zuzumuten, eine gerichtliche Entscheidung erst nach dem noch einige Jahre entfernten Eintritt des Versorgungsfalles herbeizuführen.

B. Die von dem Kl. mit den Anträgen zu 1 und 2 geltend gemachten Ansprüche sind begründet.

I. Die Bekl. ist verpflichtet, dem Kl. (oder seiner versorgungsberechtigten Ehefrau) im Versorgungsfall Versorgungsbezüge zu gewähren, bei deren Bemessung die tarifliche Anpassung gem. § 2 der Versorgungszusage vom 4. 8. 1987 auch nach der Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden Dienstverhältnisses am 30. 3. 1994 berücksichtigt wird. In diesem Zusammenhang ist - in Übereinstimmung mit dem BerGer. und den Erklärungen der Parteien im Berufungsverfahren - davon auszugehen, daß der Klageantrag zu 1 sich nur auf die Zeit nach dem Ausscheiden des Kl. aus der Genossenschaft bis zu dem Beginn der Versorgung bezieht.

1. Das BerGer. hat die entsprechenden Vertragsbestimmungen dahingehend ausgelegt, daß sich die Dynamisierungsregelung des § 2 des Versorgungsvertrags erst entfalte, wenn der Versorgungsfall eingetreten sei. Diese Auslegung hält den Angriffen der Revision nicht stand. Da neuer Sachvortrag nicht zu erwarten ist und weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat die Vertragsbestimmungen selber auslegen und insoweit in der Sache entscheiden (§ 565 III 1 ZPO; vgl. Senat, NJW 1994, 357 = LM H. 7-1994 § 35 GmbHG Nr. 32 = ZIP 1994, 206 m. w. Nachw.; Senat, NJW 1998, 1481 = WM 1998, 714 [715]).

2. Die gesetzliche Regel (§§ 133, 157 BGB ), daß bei der Auslegung eines Vertrags von dessen Wortlaut auszugehen ist (vgl. BGHZ 124, 39 = NJW 1994, 188 [189] = LM H. 5-1994 § 229 BGB Nr. 3), hat das BerGer. nur scheinbar beachtet. Der Wortlaut des § 2 der Versorgungszusage deckt die von ihm vorgenommene Auslegung nicht. Es beachtet auch nicht genügend, daß nach der allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen ist, eine vertragliche Bestimmung solle nach dem Willen der Parteien einen bestimmten rechtserheblichen Inhalt haben. Deshalb ist einer möglichen Auslegung der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsnorm eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese Norm ansonsten als (teilweise) sinnlos erweisen würde (vgl. dazu auch BGHZ 20, 109 [110] = NJW 1956, 665 = LM § 282 ZPO Nr. 3).

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