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BGHZ 57, 245

Title
BGHZ 57, 245
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Content
245

Urteil vom 19. November 1971 - V ZR 100/69

1. Am Miteigentum der beiden Grundstückseigentümer an der gemeinsamen Giebelmauer zwischen ihren zwei Häusern ändert sich auch bei freiwilligem Abbruch des einen Hauses durch den Eigentümer jedenfalls dann nichts, wenn damit der Zweck verbunden ist, alsbald an Stelle des abgebrochenen Hauses ein neues an die Giebelmauer anzubauen.

2. Zum ursächlichen Zusammenhang fehlerhafter Bauplanung und -leitung mit einer nach teilweisem Hauseinsturz getroffenen behördlichen Anordnung weiteren Mauerabbruchs.

Der Kläger und die erstbeklagte Erbengemeinschaft sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Ihre Wohnhäuser hatten eine gemeinsame halbscheidige Giebelmauer; sie waren im zweiten Weltkrieg beschädigt und dann wieder instandgesetzt worden.

Im Jahre 1961 beabsichtigte jeder der beiden Nachbarn den Abbruch und Neubau seines Hauses. Nachdem der Kläger sein Haus derart abgerissen hatte, daß die von ihm abgestützte Giebelmauer nur noch im Erdgeschoß und Keller eine feste Verbindung mit seinem Grundstuck behielt, ließ die Erstbeklagte246ihr Haus soweit abbrechen, daß die tragenden Außen- und Innenwände (außer dem Giebel) frei hoch standen.

Während der anschließenden Aufbauarbeiten der Erstbeklagten stürzten die tragenden Innenwände dieses Hauses zusammen. Das Bauaufsichtsamt ordnete am selben Tag die Abtragung des Mauerwerks ringsum bis zum ersten Obergeschoß an. In der Folgezeit wurde die ganze Giebelmauer abgerissen und vom Kläger beim Aufbau seines Hauses neu errichtet. Die Erstbeklagte hat inzwischen an die Giebelmauer angebaut and an den Kläger zur Abfindung seines Ablösungsanspruchs aus dem Anbau rund 5000 DM bezahlt.

Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz (zweimonatiger Mietausfall wegen Verzögerung seines Baues, restliche Mauerbaukosten, Architektenunkosten), u. a. von dem Architekten (Zweitbeklagten).

Die Klage wurde in allen Instanzen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Aus den Gründen:

Das Oberlandesgericht bejaht dem Grunde nach eine Schadensersatzpflicht des Zweitbeklagten als schuldhafter Verletzung des Eigentums des Klägers: Dieser sei bis zum Abbruch der Giebelmauer deren Miteigentümer gewesen; der Zweitbeklagte habe hinsichtlich der Abbruchs- and Wiederaufbauarbeiten am Haus der Erstbeklagten bei Planung and Bauleitung schuldhaft gehandelt und dadurch den teilweisen Einsturz dieses Hauses verursacht; die behördliche Anordnung des Giebelabbruchs und dessen Durchführung seien die adäquate Folge des Hauseinsturzes gewesen.

Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

I.

Ohne Rechtsirrtum bejaht das Oberlandesgericht das Miteigentum des Klägers an der Giebelmauer.

a) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats geht das Berufungsurteil davon aus, daß die halb-247scheidige, d. h. auf der Grenze und damit auf beiden Grundstücken zu je einem Teil stehende Giebelmauer spätestens von dem Zeitpunkt an, in dem von beiden Seiten ein Haus angebaut war (etwa 1900), im Miteigentum der beiden benachbarten Grundstückseigentümer stand, und zwar, da Anhaltspunkte für einen ungleichmäßigen Anbau (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1961, V ZR 30/60, BGHZ 36, 46) fehlen, im je hälftigen Miteigentum (Senatsurteile vom 30. April 1958, V ZR 178/56, BGHZ 27, 197, und vom 2. Februar 1965, V ZR 247/62, BGHZ 43, 127, 129).

Dieses Miteigentum an der Giebelmauer ging dem Kläger und seinen Rechtsvorgängern im Grundstuckseigentum auch nicht durch spätere Ereignisse verloren.

Das gilt zunächst für die unstreitige Tatsache, daß im zweiten Weltkrieg beide Häuser beschädigt wurden. Nach der Rechtsprechung des Senats hätte selbst eine völlige Zerstörung der beiden Häuser oder eines von ihnen durch Kriegsereignisse die Eigentumsverhältnisse an der (wenigstens teilweise bestehen gebliebenen) Giebelmauer nicht verändert (vgl. für den Fall teilweiser Zerstörung der Giebelmauer selbst das genannte Senatsurteil BGHZ 27, 197, 202/3, für den Fall der Zerstörung des einen Hauses das genannte Senatsurteil BGHZ 43, 127, 131/32; vgl. dazu sowie zur Gegenmeinung unten b). Für den gegebenen Fall, daß die Häuser zwar beschädigt wurden, aber beide als Gebäudeeinheiten vorhanden blieben, ist ein Grund für die Annahme einer Eigentumsänderung (auch vom Standpunkt der Gegenmeinung aus) nicht ersichtlich.

Auch durch die dann folgende erstmalige Wiederinstandsetzung beider Häuser ist eine Änderung am beiderseitigen Miteigentum an der Giebelmauer nicht eingetreten.

Problematisch ist im vorliegenden Fall allein die Frage, ob der Kläger sein Miteigentum an der Giebelmauer dadurch verloren hat, daß er sein Haus im Sommer 1961 vor dem teilweisen Einsturz des Nachbarhauses bis auf die Giebelmauer abgerissen hat, um es neu aufzubauen. Die Vorinstanzen haben die Frage verneint in Anlehnung an die Auffassung des erkennenden Senats über den Fortbestand des Miteigentums bei Kriegszerstö-248rung des einen Hauses (BGHZ 43, 127). Die Revision sieht einen entscheidenden Unterschied des vorliegenden Falles zum Fall der Kriegszerstörung darin, daß die Zerstörung des Hauses des Klägers auf dessen freiem Willensentscheidung beruhte. Der Senat hat in seinem letztgenannten Urteil auf diese Unterscheidungsmöglichkeit hingewiesen und die Eigentumsfrage für den Fall freiwilligen Hausabbruchs offen gelassen. Er mißt dem Unterschied jedenfalls für den hier gegebenen Fall, daß das Haus zum Zweck alsbaldigen Wiederaufbaus abgerissen wird, keine ausschlaggebende Bedeutung bei.

b) Die Zweifelsfragen um die Eigentumsverhältnisse bei Grenzüberbau im allgemeinen und bei zum beiderseitigen Hausanbau auf der Grundstücksgrenze errichteten Mauern (Kommunmauern) im besonderen sind weder im Bundesbaugesetz von 1960 noch in den Landesnachbarrechtsgesetzen näher geregelt worden; ihre Beantwortung ist nach wie vor der Auslegung allgemeiner Vorschriften und der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung überlassen. Der Senat geht mit der wohl allgemeinen Auffassung davon aus, daß es dem Sinn des Gesetzes und der praktischen Vernunft entspricht, wirtschaftliche Einheiten grundsätzlidi auch rechtlich als Eigentumseinheiten zu erhalten (grundlegend BGHZ 27, 197, 200). Von zwei einander widerstreitenden gesetzlichen Geboten, nämlich dem der Rechtseinheit zwischen dem Grundstück und den darüber befindlichen Bauteilen einerseits (§§ 94 Abs. 1 Satz 1, 93 BGB, superficies solo cedit) und dem der Rechtseinheit zwischen den einzelnen Teilen eines Gebäudes andererseits (§ 94 Abs. 2 BGB, Maßgeblichkeit des Gebäudezusammenhangs) gibt er deshalb dein letzteren Gebot grundsätzlich den Vorzug. Demgemäß erwirbt derjenige Grundstückseigentümer, der als erster ein Haus und mit ihm die Kommunmauer errichtet, bei entschuldigtem Überbau (§ 912 Abs. 1 BGB) und erst recht bei (infolge Zustimmung des Nachbarn) rechtmäßigem Überbau das Alleineigentum an der Kommunmauer (BGHZ 27, 197); baut der Nachbar seinerseits an diese Mauer an, so wird sie mit dem Anbau Miteigentum beider Grundstückseigentümer (BGHZ 27, 197). Für den Fall des unentschuldigten Überbaues (vgl. § 912 Abs. 1 BGB) hat der Se-249nat allerdings zum Schutz des Nachbarn die Maßgeblichkeit des Gebäudezusammenhangs ausnahmsweise zurücktreten lassen und auf der Grundstückssgrenze lotrecht geteiltes Alleineigentum beider Grundstückseigentümer an der Kommunmauer angenommen (weiteres Senatsurteil vom 30. April 1958, V ZR 215/56, BGHZ 27, 204; ebenso neuerdings im Ergebnis Klempt, JZ 1969, 223; dagegen insbesondere Hodes, NJW 1964, 2382 und in Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht im Bundesgebiet usw., 5. Aufl. § 2 II, § 8 II vor 1 und in 3); er hat diese Besonderheit jedoch beim Maueranbau auch des Nachbarn wieder verneint, indem er von da an, ebenso wie bei entschuldigtem Überbau, Miteigentum beider Grundstückseigentümer an der ganzen Kommunmauer bejaht (BGHZ 43, 127, 129).

Für den Fall, daß nach beiderseitigem Hausanbau an die Kommunmauer das eine Haus zerstört wird, während die Kommunmauer und das zweite Haus bestehen bleiben, hat der Senat eine Eigentumsänderung - dahin, daß das Miteigentum des Ruineneigentümers an der Kommunmauer untergeht und das Miteigentum des Nachbarn an der Kommunmauer zu Volleigentum erstarkt - für einen Fall verneint, in dem es sich um eine Zerstörung durch Kriegseinwirkung handelte (BGHZ 43, 127; dagegen insbesondere Hodes, NJW 1965, 2088, sowie Hausmann, Das Recht der halbscheidigen Giebelmauer, Diss. München 1969 S. 157 ff). Wenn der Senat damals auf die Unfreiwilligkeit solcher Zerstörung. hingewiesen hat, so sollte damit für den Fall freiwilliger Hauszerstörung (Abbruch) durch den Haus- und Grundstückseigentümer die Fortdauer seines Miteigentums an der Kommunmauer nicht verneint werden. Die gebotene Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Einheiten auch in rechtlicher Beziehung ergibt im Gegenteil, daß auch in Fällen wie dem vorliegenden die Fortdauer des Miteigentums beider Grundstücksnachbarn zu bejahen ist.

Der vom Senat für den Fall unfreiwilliger Hauszerstörung vermißte rechtsdogmatische Anhaltspunkt für eine Eigentumsänderung könnte bei freiwilliger Hauszerstörung allenfalls in dem (in der letztgenannten Entscheidung angeführten) Umstand250gefunden werden, daß die Veränderung in der Außenwelt auf einer Willensbetätigung des einen Grundstückseigentümers beruht; der Senat har seinerzeit darauf hingewiesen, daß auch beim Erstbau der Kommunmauer und beim Anbau an sich eine Änderung in den Eigentumsverhältnissen durch die Willensbetätigung des einen oder anderen Nachbarn hervorgerufen wird. Aber in diesen Fällen ging es um die Herstellung von Bauten oder Bauteilen, in Fällen wie dem vorliegenden dagegen um ihre Beseitigung. Bei der Errichtung eines Hauses mit Kommunmauer bietet sich rechtsdogmatisch zur Erhaltung der rechtlichen Gebäudeeinheit eine Anlehnung an § 946 BGB an; beim Anbau des zweiten Hauses an eine vorhandene Kommunmauer drängt die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Kommunmauer gleichzeitig zu zwei Gebäudeeinheiten dazu, eine Eigentumsänderung in Richtung gemeinsamen Mauereigentums beider Nachbarn zu bejahen. Bei der Zerstörung eines an die Kommunmauer angebauten Hauses dagegen fehlt es an einem rechtsdogmatischen Anknüpfungspunkt für die Annahme einer kraft Gesetzes eintretenden Eigentumsänderung: Die Vorschriften der §§ 946 ff BGB scheiden aus, weil sie die Zusammenfügung und nicht die Trennung von Teilsachen betreffen. Von den für den Trennungsfall geltenden Vorschriften der §§ 953 ff BGB bestimmt die Regelvorschrift des § 953 gerade die unveränderte Fortdauer des bisherigen Eigentums, und die folgenden Ausnahmevorschriften gelten für Fälle (dingliches Aneignungsrecht, Eigenbesitz, Erwerbsgestattung), mit denen sich die Fälle des freiwilligen Gebäudeabbruchs ebensowenig vergleichen lassen wie die der Zerstörung durch Krieg oder Naturgewalten.

Auch ein praktisches Bedürfnis für die Annahme einer Änderung des Mauereigentums bei willentlichem Hausabbruch ist nicht zu erkennen, insbesondere dann nicht, wenn dieser nur ein technisch notwendiges und vorübergehendes Zwischenstadium zu dem (wenn auch in veränderter Art) bereits jetzt Beplanten und alsbald durchzuführenden Wiederaufbau des Hauses darstellt. Ob bei einem Hausabbruch ohne Wiederaufbauwillen einem etwaigen Bedürfnis nach einer Änderung des Giebelmauereigentums durch die Annahme automatischen Eigentumswechsels oder251nicht vielmehr in entsprechender Anwendung der im Senatsurteil BGHZ 23, 57 für Scheinbestandteile im Sinn von § 95 BGB aufgestellten Grundsätze Rechnung zu tragen ist, bedarf im vorliegenden Rechtsstreit keiner Entscheidung.

Daß mit der Zerstörung des einen Hauses die Kommunmauer aufhört, wesentlicher Bestandteil dieses Hauses zu sein (§§ 93, 94 Abs. 2 BGB; vgl. dazu Spyridiakis, Zur Problematik der Sachbestandteile, Tübingen 1966 S. 80 ff, 86 ff), bedingt, im Gegensatz zur Entstehung der Bestandteilseigenschaft (§§ 946 ff BGB), keine Eigentumsveränderung bei den einzelnen Sachteilen, wie wiederum die genannte Vorschrift des § 953 BGB zeigt.

Das Ergebnis: Fortdauer des gemeinschaftlichen Eigentums beider Nachbarn an der Kommunmauer entspricht schließlich auch einer natürlichen Betrachtungsweise. Das gilt insbesondere für Fälle wie den vorliegenden, wo die Kommunmauer durch den Abbruch ihre natürliche Zweckbestimmung, nach beiden Seiten hin einem Haus als Bestandteil zu dienen, nicht endgültig verliert, sondern das einseitige Fehlen eines Anbaues nur einen von vornherein als vorübergehend zu denkenden Zustand darstellt.

c) Nach allem ist mit dem Berufungsurteil und entgegen der Revision anzunehmen, daß das Miteigentum des Klägers an der Kommunmauer durch seinen Hausabbruch im Sommer 1961 nicht untergegangen ist. Es konnte daher Gegenstand einer bei Verschulden zu Schadensersatz verpflichtenden Eigentumsverletzung durch den Zweitbeklagten sein (§ 823 Abs. 1 BGB).

II.

Was die Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Zweitbeklagten betrifft, so sieht der Tatrichter einen Verstoß gegen anerkannte Regeln der Baukunst darin, daß der Teilabbruch und der Wiederaufbau des Nachbarhauses ohne geeignete Mainahmen zur Steifung der stehenbleibenden Hausteile geplant und durchgeführt wurden. Er sieht ein Verschulden des Zweitbeklagten als planenden und bauleitenden Architekten darin, daß er bei der Planung solche Sicherheitsmaßnahmen nicht vorsah und bei der252Planungsausführung sie zwar anordnete, aber ihre Durchführung nicht überwachte.

a) Die Revision verneint ein Verschulden des Zweitbeklagten deshalb, weil er seine Wiederaufbaupläne durch einen Statiker habe überprüfen lassen und sich auf das Ergebnis dieser Prüfung habe verlassen dürfen.

Eine solche Überprüfung ist allerdings für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Unterstellt werden mag weiter, daß sich im vorliegenden Fall die Überprüfung des Statikers nicht nur auf die Errichtung des neuen, sondern auch auf den Abbruch des alten Hauses der Erstbeklagten erstreckte. Es trifft auch zu, daß der Bundesgerichtshof im Urteil vom 17. November 1969, VII ZR 167/67 (LM BGB § 635 Nr. 21) eine Pflicht des Architekten verneint hat, den Statiker zu beaufsichtigen, soweit es sich um die eigentlichen Leistungen des Statikers handelt. Aber - abgesehen davon, daß der Statiker in jenem Entscheidungsfall vom Bauherrn, im vorliegenden Fall jedoch unterstelltermaßen vom Architekten selbst beauftragt war und es dort um eine Haftung aus Vertrag gegenüber dem Bauherrn ging, hier jedoch um eine Haftung aus unerlaubter Handlung gegenüber einem Nachbarn - sind auch in jener Entscheidung Verschulden und Haftung des Architekten letztlich bejaht worden, und zwar deshalb, weil er die Fehler der statischen Berechnung (Windgefährdung der leichten Dachkonstruktion) bei der Baudürchfuhrung (Dachverankerung des Zimmermanns) hätte erkennen müssen.

Ähnlich liegt der hier zu beurteilende Sachverhalt: Nach der ausdrücklichen Würdigung des Tatrichters hätte der Zweitbeklagte als planender und bauleitender Architekt selbst die starken Risiken des Plans und die Möglichkeit und Notwendigkeit von Abstützungs- und sonstigen Sicherungsmaßnahmen erkennen und derartige Maßnahmen vorsorglich ergreifen müssen, oder, wenn ihm die dazu nötige Sachkunde fehlte, die Planung und Bauleitung überhaupt nicht übernehmen dürfen. Er habe auch, nachdem er nach seinem eigenen Vortrag Abstützungsmaßnahmen als erforderlich erkannt und den Bauarbeitern aufgetragen hatte, nicht dafür gesorgt, daß solche Maßnahmen auch tatsächlich durchgeführt wurden.

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Diese Ausführungen rechtfertigen jedenfalls hinsichtlich der Bauleitung die Annahme eines objektiv fehlerhaften und subjektiv schuldhaften Verhaltens des Zweitbeklagten. Die Erwägung der Revision, ein Architekt brauche auf dem Gebiet der Statik keine Kenntnisse zu haben, ist in dieser Allgemeinheit nicht mit einer ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu belegen; sie ist auch unrichtig. Dasselbe gilt für die Annahme, der Zweitbeklagte habe sich ohne Rücksicht auf das Auftauchen oder Auftauchenmüssen eigener Bedenken auf die Prüfung des Statikers blindlings verlassen dürfen. Deshalb kann sich der Zweitbeklagte, nachdem er selbst Sicherungsmaßnahmen als notwendig erkannt und den Bauarbeitern aufgetragen hatte, vom Vorwurf mangelnder Kontrolle der Durchführung dieser Maßnahmen nicht entlasten durch den Hinweis darauf, der Statiker habe solche Maßnahmen für überflüssig gehalten.

b) Dieses schuldhafte Verhalten des Zweitbeklagten ist - vorbehaltlich der Frage des Ursachenzusammenhangs (unten III) -auch als Grundlage für eine Schadensersatzhaftung gegenüber dem Kläger aus Eigentumsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) geeignet.

Das bedürfte allerdings weiterer Begründung, wenn sein Verhalten in einem bloßen Unterlassen (der Planung und Sicherstellung von Abstutzmaßnahmen) bestünde; denn in diesem Fall wäre Haftungsvoraussetzung eine Rechtspflicht zum Handeln gegenüber dem verletzten Dritten, hier dem Kläger, und es würde sich fragen, ob diese sich mit einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht begründen ließe (verneinend OLG Köln, VersR 1969, 810). Aber das schuldhafte Verhalten des Zweitbeklagten erschöpfte sich nicht in einem bloßen Unterlassen. Vielmehr bat er mit der Planung und Bauleitung ohne jene Sicherungsmaf3nahmen positive Handlungen begangen, die nicht im Sinne sozialer Adäquanz ordnungsgemäß ("verkehrsrichtig"; vgl. BGHZ 24, 21) waren und zu der weiteren Entwicklung maßgeblich beigetragen haben. Ihre Rechtswidrigkeit auch im Verhältnis zum Kläger wird durch die diesem zugefügte Eigentumsverletzung hinreichend indiziert.

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Auch die für ein haftungsbegründendes Verschulden erforderliche Voraussehbarkeit der Rechtsgutverletzung (vgl. Urteil vom 3. Februar 1953, I ZR 61/52, NJW 1953, 541: des ersten schädlichen Erfolgs) liegt beim Zweitbeklagten vor. Dazu genügte hier zwar noch nicht die Voraussehbarkeit einer Beschädigung des Hauses der Erstbeklagten, sondern nötig war die Voraussehbarkeit eines Verlustes der im Miteigentum auch des Klägers stehenden Giebelmauer. Aber nach der ersichtlichen Annahme des Berufungsgerichts, die der Lebenserfahrung entspricht, war für den Zweitbeklagten beides vorhersehbar.

III.

Ohne Rechtsirrtum bejaht das Berufungsgericht schließlich einen haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang zwischen seiner den Hauseinsturz verschuldenden Planungs- und Bauleitungstätigkeit und den durch die Zerstörung der Giebelmauer eingetretenen Miteigentumsverlust des Klägers an dieser Mauer (vgl. über Ursachenzusammenhang neuestens Urteil vom 13. Juli 1971, VI ZR 165/69, NJW 1971, 1982, mit Nachweisen).

Mangels gegenteiliger Feststellung des Tatrichters ist allerdings im Revisionsverfahren zugunsten des Zweitbeklagten zu . unterstellen, daß die Giebelmauer nicht, auch nicht teilweise, am 27. September 1961 mit eingestürzt, sondern erst nach Erlaß der Abbruchsanordnung abgebrochen worden ist.

Der Abbruch der Giebelmauer ist indessen dem Zweitbeklagten als Folge seiner Handlungsweise zuzurechnen.

a) Unproblematisch ist die Verursachung im logisch-naturwissenschiaftlichen Sinn (der conditio sine qua non): Hätte der Zweitbeklagte den Abbruch und Wiederaufbau des Nachbarhauses nicht in der geschehenen Weise, sondern mit den nötigen Sicherungsmaßnahmen geplant und durchgeführt, so wäre dieses Haus nicht zum großen Teil eingestürzt; wäre es nicht eingestürzt, so wäre nicht der Abbruch des Mauerwerks rundum, wozu auch die Giebelmauer gehörte, angeordnet und ausgeführt worden.

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b) Der Ursachenzusammenhang ist auch adäquat; deshalb kann offen bleiben die im Urteil vom 13. juli 1971 als zweifelhaft angesehene Frage, ob Adäquanz auch im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität erforderlich ist:

Die Tätigkeit des Zweitbeklagten (Bauplanung und Baudurchführung ohne genügende Sicherheitsmaßnahmen) hat die objektive Möglichkeit eines Erfolgs von der Art des eingetretenen (zunächst Hauseinsturz, daraufhin Anordnung und Durchführung des Giebelmauerabbruchs) in nicht unerheblicher Weise erhöht (vgl. Urteil vom 23. Oktober 1951, I ZR 31/51, BGHZ 3, 261, und Urteil vom 24. Márz 1964, VI ZR 33/63, LM BGB § 823 (C) Nr. 32).

Das Oberlandesgericht führt dazu aus: Selbst wenn die Giebelmauer durch den Hauseinsturz trotz des damit verbundenen weitgehenden Verlusts von Stütze und Halt ihre Standfestigkeit behalten haben, ihr Abbruch also technisch nicht notwendig gewesen sein sollte, sei nach einem so umfangreichen Einsturz naheliegend und zu erwarten gewesen, daß das Bauaufsichtsamt nicht das mit einer langwierigen Prüfung der Standfestigkeit der Mauern verbundene Risiko eingehen, sondern kurzerhand den Abbruch der Mauern anordnen werde, um jeder denkbaren Möglichkeit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen.

Diese Erwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden und tragen die Bejahung der Adäquanz des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Zweitbeklagten und dem Abbruch der Giebelmauer.

Daß der Hauseinsturz adäquate Folge der Tätigkeit des Beklagten und die Durchführung des Abbruchs adäquate Folge der Abbruchanordnung war, stellt auch die Revision nicht in Abrede. Für die Frage, ob auch die auf den Hauseinsturz zurückgehende Mauerabbruchanordnung adäquate Folge jener Tätigkeit des Beklagten war, kommt es nicht darauf an, ob die Standfestigkeit der stehengebliebenen Mauern, darunter der Giebelmauer, durch den Hauseinsturz gefährdet, die Anordnung also bautechnisch notwendig und in diesem Sinne "richtig" war. Maßgebend war vielmehr, ob die infolge der Tätig-256keit des Zweitbeklagten geschaffene Lage (Hauseinsturz) allgemein geeignet war, ein derartiges Eingreifen der Behörde (Abbruchanordnung) auszulösen (vgl. das genannte Urteil vom 24. März 1964). Lag ein solches Verhalten der Behörde nicht außerhalb aller Erfahrung, so blieb adäquater Ursachenzusammenhang sogar dann bestehen, wenn dieses Verhalten fehlerhaft gewesen sein sollte (vgl. Urteil vom 9. März 1965, VI ZR 218/65, BGHZ 43, 178). Die hiernach für adäquate Verursachung nötigen Voraussetzungen hat der Tatrichter durch die genannten Ausführungen bejaht.

Die Revision beruft sich auf das Urteil vom 17. Mai 1957, VI ZR 63/56 (BGHZ 24, 263, 266) für das Erfordernis eines "rechtfertigenden Grundes" zum Eingreifen des Dritten (ebenso Palandt/Heinrichs, BGB 30. Aufl. Vorbem. 5 e bb zu § 249). Aber in jenem Entscheidungsfall bestand die Zweitursache nicht im Verhalten eines Dritten, sondern im Verhalten des Geschädigten selbst, und zur Bejahung adäquaten Ursachenzusammenhangs wurde für genügend erklärt, daß der Entschluß (dort: des Geschädigten zur Nebenklage, deren Kosten er vom Schädiger erstattet verlangte) "nicht ungewöhnlich" war. Das trifft nach dem festgestellten Sachverhalt auch hier zu.

c) Erfüllt ist auch das weitere Haftungserfordernis, daß die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird (Verlust des Miteigentums an der Mauer durch ihre Zerstörung), in den Schutzbereich des Gesetzes fällt (vgl. Urteil vom 22. August 1958, VI ZR 65/57, BGHZ 27, 137). Denn der geltend gemachte Schaden (Mietausfall wegen verspäteter Neubaufertigstellung, Mauerkosten, Architektenkosten) ist aus der genannten Verletzung des Rechtsguts Eigentum entstanden, zu dessen Schutz die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB dient.

Infolgedessen steht dem Klagbegehren auch nicht der Umstand entgegen, daß es sich bei den eingeklagten Schadensposten zum Teil um allgemeinen Vermögensschaden handelt, weit dieser nach dem Klagvortrag wiederum Folge des Schadens am Eigentum ist (vgl. BGHZ 27 aaO S. 141).

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